piwik no script img

Gejammert wird nicht

Vom nie endenden Kampf der Frauen gegen ihre vermeintlich überflüssigen Körperhaare  ■ Aus Madrid Antje Bauer

Vor ein paar Tagen war es wieder einmal so weit. „Mensch, sieh dir bloß die Haare an“, sagte Mariajose in dem für diese Gelegenheit vorbehaltenen Klageton und schaute dabei vorwurfsvoll auf ihre noch unbestrumpften Beine, an denen sich erste schwarze Stoppeln zeigten. In den nächsten Wochen, wenn die Stoppeln wachsen und stärker ins Auge fallen, werden Mariajoses Klagen immer lauter.

In der U-Bahn wird es ihr vorkommen, als ob die Blicke aller Fahrgäste fest auf ihren Stoppelansatz gerichtet sind. Sie wird trotz der Hitze keine Röcke, sondern nur noch lange Hosen tragen und von einem Schwimmbadbesuch absehen.

Eines Tages wird dann der süßliche Geruch von geschmolzenem Wachs durch die Wohnung ziehen — ein sicheres Zeichen dafür, daß der Moment gekommen ist, wenn Mariajose der Stoppelwiese auf ihren Beinen zu Leibe rückt. Meistens lädt sie sich dazu ihre kolumbianische Leidensgenossin Adela ein. Die beiden holen das Blechgefäß voller altem, hartem Wachs aus dem Badezimmerschränkchen und erhitzen es auf dem Herd, bis sich das Wachs verflüssigt. Dann streicht Mariajose die gelbe Masse mit einem Spachtel in langen Bahnen auf die Beine, wartet, bis das Wachs erkaltet ist und reißt es dann mitsamt der darin verhafteten Haare ab.

Gejammert wird nicht — schließlich handelt es sich hier um eine ernste Angelegenheit. Nur Adela keucht etwas, als Mariajose ihr die Wachsbahnen von den Innenseiten der Oberschenkel zerrt.

Nach der Prozedur herrscht große Befriedigung. Das Leiden hat sich gelohnt, die Beine sind glatt wie eine Skipiste. Frau kann sich wieder unter die Leute trauen — zumindest ein paar Wochen lang, bis sich wieder die ersten schwarzen Stoppeln zeigen.

Das barbarische Ritual der Entfernung vermeintlich überflüssiger Körperhaare teilt Mariajose mit allen Frauen des Mittelmeerraums. Während die Achseln noch vergleichsweise glimpflich davonkommen und lediglich ausrasiert oder mit einer Creme schmerzlos entfernt werden, beseitigen Frauen in Italien, Spanien, der Türkei und den arabischen Ländern ihre Beinhaare mit „Tiefenwirkung“ — nämlich durch Gewaltanwendung.

Das Flüssigwachs ist die gebräuchlichste Methode. In Spaniens Kaufhäusern stapeln sich darüber hinaus zum Sommeranfang — wenn die Beine wieder zum Vorschein kommen — die „Epilady's“: elektrische Geräte, die mit Hilfe einer Spirale jedes Haar einzeln herausziehen und sich auch für die Entfernung von Damenbärten eignen.

Bei den mediterranen Leidensschwestern herrscht Einigkeit über die Notwendigkeit, Bein-, Achsel- und Schnurrbarthaare zu entfernen. Schnurrbart und Beinbehaarung sind in ihren Augen männliche Attribute, und Achselbehaarung erweckt bei den Betrachtern angeblich unzüchtige Assoziationen zu Schamhaaren. Mit den übrigen Körperhaaren wird dagegen unterschiedlich umgegangen.

Mariajose läßt die Härchen auf den Armen wachsen, während ihre kolumbianische Freundin sie blond einfärbt, wobei dann auch die Augenbrauen die Farbe wechseln müssen. „Puritanerinnen“ applizieren jedoch selbst auf ihre Arme das heiße Wachs.

An einer Stelle jedoch scheiden sich die ästhetischen Ideale der mediterranen Frauen: den Schamhaaren. Während die Europäerinnen sie munter wachsen lassen, fallen sie in den moslemischen Ländern den religiösen Vorschriften zum Opfer. Der Koran schreibt sowohl Männern als auch Frauen vor, sich die Schamhaare abzuschneiden. Während jedoch nicht mehr alle Männer diese Vorschrift ernst nehmen, wahren die Frauen auch hier die Tradition.

Türkinnen, die in Deutschland aufgewachsen sind, kommen vor der Hochzeit bei dieser Frage häufig in Gewissenskonflikte: Sollen sie ihre Schamhaare — wie in Deutschland üblich — stehen lassen, oder findet der künftige Ehemann das womöglich schockierend? Die Vorschrift des Korans basiert zwar auf hygienischen Erwägungen, doch der Brauch hat sich auch auf die herrschenden Schönheitsideale ausgewirkt. „Eine Möse muß wie Schlagsahne sein, so weiß und so glatt“, erklärte ein Türke der tazlerin.

Manche Frauen der städtischen Mittelschicht kommen dieser Forderungen dadurch nach, indem sie die Behandlung mit heißem Wachs auch bei diesem Körperteil anwenden.

Anders als bei der Menstruation, die stets unerwähnt bleibt, klingt geheimer Stolz aus der Ankündigung, sich der Haare zu entledigen. Nach dem Enthaarungsritual widmen sich Mariajose und Adela häufig der weiteren Schönheitspflege: gegenseitige Gesichtsmassagen zur Beseitigung des Doppelkinns, Maniküre und Pflege der Frisur. Dabei wird Kaffe getrunken und geklatscht — Gemütlichkeit im Dienste der Schönheit.

Viele Spanierinnen in den Städten ziehen es freilich vor, sich für die Flüssigwachstortur in professionelle Hände zu begeben. Dafür bieten sich nicht nur die zahlreichen Schönheitsinstitute an, sondern auch Praxen, die auf das Ausreißen von Körperhaaren spezialisiert sind. „Enthaarungszentrum“ steht auf den Ladenschildern, deren Fenster meist verhangen sind.

Auf Auslagen wird verzichtet. Was sollten sie auch zeigen? Erkaltetes Wachs voller schwarzer Stoppeln?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen