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■ Hab Sonne im Herzen und Blut im Stuhl * "Rufen Sie uns an! Darmerkrankungen", Montag, N3, 21 Uhr

Medizinische Ratgebersendungen, die im deutschen Fernsehen zahlreich ausgestrahlt werden, nehmen eine Sonderstellung ein. Betroffenen gelten sie mehr als die Ziehung der Lottozahlen, Nichtbetroffenen sind sie oftmals für eine scherzhafte Bemerkung gut. Eine Darmspiegelung ist eben nur so lange witzig, wie man den Schlauch nicht im Unterleib spürt.

Am Montag befaßte sich der Ratgeber Rufen Sie uns an mit Darmerkrankungen, einem Tabuthema des öffentlichen Lebens. Wer beantwortet ein lockeres „Wie geht's?“ schon gerne mit: „Ich weiß nicht recht, seit einigen Wochen habe ich Blut im Stuhl“? Deshalb gehören derartige Themen ins Fernsehen. Bei 51.000 neuen Darmkrebsen pro Jahr in Deutschland, hier sind wir die führende Nation, lag Rufen Sie uns an gerade richtig.

Zwangsläufig hat die Sendung als Ratgeber einen hohen Sprechanteil. Das ist logisch und richtig, zumal die ZuschauerInnen Fragen an Sachverständige stellen können: einen Internisten, einen Chirurgen, einen Darmspezialisten, einen Psychosomatiker. Darmerkrankungen sind offenbar Männersache: Gibt es keine weiblichen Mediziner, die sich mit dem Thema beschäftigen?

Den Herren der Schöpfungserhaltung im Bereich Mensch muß trotz ihres übermäßigen Fremdwortgebrauchs zugute gehalten werden: Sie bliesen der Pharma-Industrie keinen Zucker in den Darm und versuchten nicht, die AOK-Klientel reihenweise auf den Operationstisch zu locken, wie man es von diesem Stand oftmals kennt. Autogenes Training statt Medikamente wurde empfohlen, und das beste Heilmittel sei die korrekte Ernährung: Eßt statt zu vieler tierischer Fette lieber pflanzliche Nahrung, reich an Ballaststoffen!

Damit vermittelte Rufen Sie uns an — Darmerkrankungen eine Faustregel für jedefrau und jedermann, während sie en detail ihre Zielgruppe zweifellos unter den Betroffenen fand. So erzählten die Anrufer von blutenden Hämorrhoiden (unter Erwähnung der russischen Kriegsgefangenschaft) und Darmkrämpfen. Im letzteren Fall empfahl der Psychosomatiker wohlmeinend, aber unpassend, Entspannungstechniken, was zu der Entgegnung führte: „Autogenes Training zwischen Zähneputzen und Frühstück stelle ich mir schwierig vor.“

AnruferInnen fragen nach homöopathischen Hilfsmitteln (die es nicht gibt) und Vererbungsgefahr. Die situationsbedingte Distanz zwischen Ärzten und Fragestellern sorgte mitunter für unverblümte Antworten ohne falsche Rücksichtnahme.

Darmerkrankungen war eine aufschlußreiche Sendung zum Thema. Aber wen hat sie nur halb interessiert? Die Berliner Curry-Wurst. Denn die gibt's auch ohne Darm. Achim Becker