INTERVIEW: „Der Bundestag wird nicht schweigen“
■ Der FDP-Bundestagsabgeordnete Ulrich Irmer zu den türkischen Angriffen auf irakische Kurden durch das türkische Militär/Militärhilfe überprüfen
taz: Eine weitere Angriffswelle des türkischen Militärs überrollt die Kurden im türkisch-irakischen Gebiet. Wundert Sie nicht die Ruhe, mit der die Bundesregierung dieses Verhalten des Nato- Partners aufnimmt?
Ulrich Irmer: Die Türkei ist Partner in der Nato, hat einen Antrag auf Aufnahme in die Europäische Gemeinschaft gestellt, gilt also für uns als befreundetes Land. Die Ruhe ist vermutlich eher eine Stille des Schreckens...
So erschreckt ist die Bundesregierung, sind die Koalitionsfraktionen und Parteien, daß sie sich seit Tagen nicht zu den Angriffen auf die Kurden äußern?
Ich meine, wir dürfen zu dem, was dort geschieht, nicht schweigen: zu dieser eklatanten Situation, zu dieser eklatanten Verletzung der Menschenrechte und des Völkerrechts. Wir müssen der Türkei zeigen, daß dies nicht so geht. Ankara sucht einerseits den Anschluß an Europa. Andererseits boomt es sich aus Europa heraus, indem es sich systematisch nicht an die Spielregeln hält, die in jeder zivilisierten Gesellschaft gelten.
Die Bundesregierung scheint dies alles anders zu sehen. Ihre Vertreter sprechen viel davon, daß die türkische Regierung sich mit den Angriffen gegen die Guerillakämpfer der PKK zur Wehr setzt. Sie sprechen kaum oder gar nicht von den Verlusten in der kurdischen Zivilbevölkerung.
Ohne Zweifel hat die Türkei ein Terrorismusproblem, mit dem sie fertig werden muß. Aber auch hier gilt, daß nicht der Zweck die Mittel heiligt. Die Türkei muß versuchen, den Terrorismus zu bekämpfen, indem sie seine Ursachen beseitigt. Das bedeutet, sie muß ihren Minderheiten, allen voran den Kurden, eine menschenwürdige Existenz ermöglichen. Sie muß den Kurden erst kulturelle und dann politische Autonomie gewähren.
Diesen Krieg gegen das kurdische Volk nehmen die Bündnispartner in Bonn bisher hin. Lediglich der parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium Ottfried Hennig hat gefordert, daß die Bundesrepublik ihre Militärhilfe an die Türkei überprüfen müsse. Warum schließt sich ihm niemand an? Was fordern Sie?
Ich teile die Ansicht, daß unsere Militär- und sonstige Hilfe an Ankara sofort überprüft werden muß.
Wieso nicht sofort eingestellt? Überdies hat ein Sprecher des Auswärtigen Amtes gestern der taz bescheinigt, daß man an eine Überprüfung derzeit nicht denke...
Man sollte der Türkei zunächst auf diplomatischem Wege noch klarer als bisher machen, daß wir diese Angriffe nicht hinnehmen. Hierfür müssen wir ihr zu verstehen geben, daß wir die Militärhilfe überprüfen, wenn das Militär die Angriffe weiterführt. Allein eine Ankündigung der Bundesregierung, sie wolle die Hilfen überprüfen, würde in der Türkei die erhoffte und erwünschte Resonanz hervorrufen. Ich halte es im übrigen für etwas voreilig zu sagen, daß man die Hilfen bis auf weiteres nicht überprüft. Der Bundestag wird zu diesen Vorfällen nicht schweigen. Aus dem Parlament wird der ganz klare Wunsch nach einer Überprüfung kommen. Es wird sich zeigen, daß die Meinung von Herrn Hennig keine Einzelmeinung ist.
Interview: Ferdos Forudastan
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