piwik no script img

Nicht mit Schwarzen Sheriffs zu verwechseln

■ Die privaten Ordnungsschützer auf den U-Bahnsteigen der BVG fördern vor allem das Sicherheitsgefühl der Frauen

Karl-Heinz ist 51 Jahre alt, kommt aus Ost-Berlin, und war, bevor er im Zuge der deutschen Vereinigung arbeitslos wurde, 33 Jahre im Schutzdienst der Volkspolizei, zuletzt als Obermeister. Und nun steht er hier, ausgerechnet am Kotti, mit blau- grauer Uniform, und ist neun Stunden am Tag im Berliner Untergrund unterwegs, »auf Strecke«, wie er sagt, immer zu Fuß und niemals sitzend, das strengt an, jedenfalls am Anfang. »Aber irgendwie gewöhnt man sich daran«, weiß auch seine 20 Jahre junge Kollegin Bianca zu berichten. Früher, bevor sie entlassen wurde, war sie Fotolaborantin im Ostteil der Stadt. Der strenge Parapolizei-look und die wetgelgebändigten, langen Haare verleihen ihr ein hartes, fast cooles Äußeres. Doch eigentlich ist sie eher schüchtern und errötet schon mal, wenn sie unvermittelt angesprochen wird. Bianca redet nicht viel. Das überläßt sie lieber ihrem Kollegen, der hat schließlich Erfahrung. Und auch die paar Tricks, die sie in Sachen Nahkampf draufhat, die hat sie von Karl-Heinz gelernt oder von einem der anderen Wachschutzjungs, die neuerdings in der Berliner U-Bahn für Sicherheit zuständig sind.

Seit August 1990 arbeiten die Berliner Verkehrs-Betriebe nun schon mit der Industrie- und Handelsschutz GmbH (IHS) zusammen. Insgesamt 246 private Ordnungskräfte sind derzeit, Tag für Tag, für die BVG im Einsatz. Zwischen 60 und 70 Prozent von ihnen kommen dabei aus den neuen Ländern. Gearbeitet wird im Drei-Schicht-System von der ersten bis zur letzten U-Bahn, immer mit offenen Augen. An jedem Bahnhof nehmen die Wachschützer Blickkontakt zu den Zugabfertigern auf, manchmal wird ein Plausch gehalten, ob irgendwo was los ist. So wie zuletzt, an der Kurfürstenstraße, als ein Bewußtloser vor dem Bahnhofseingang lag und kein Passant helfen wollte. Da ist Karl-Heinz eingeschritten, hat einen Notarztwagen gerufen.

Zum Schichtbeginn werden die Zweierteams auf die verschiedenen Linien verteilt. Insgesamt gibt es drei »Stützpunkte«: Kottbusser Tor, Ernst-Reuter-Platz und Friedrichstraße. Von diesen Basislagern schwärmen sie dann aus, observieren die Züge, die Bahnsteige, immer im Neonlicht, bei nur zwei 20minütigen Pausen, zum Essen und um mit den Hunden mal Gassi zu gehen.

Keine Waffen, aber Sprechfunk und Hunde

Anlaß für die Kooperation mit dem privaten Sicherheitsdienst war eine Umfrage, bei der sich ein Großteil der Fahrgäste für mehr sichtbares Personal und einen effektiveren Schutz vor Gewalttaten in den Zügen und vor allem auf den nächtlichen Bahnhöfen ausgesprochen hatte. Nachdem die BVG-Planer jahrelang auf Stellenabbau und Automatisierung gesetzt hatten, war der schwerfällige Dienstleistungsapparat kaum in der Lage, die notwendigen Planstellen aus den eigenen Reihen bereitzustellen. Bis heute sind so nur knapp 100 BVGler für den betriebseigenen Mobilen Einsatz-Dienst (MOD) unterwegs, der allerdings zusätzlich von etwa 60 Streifenpolizisten begleitet wird. Was lag also näher, als auf die Hilfe Privater zurückzugreifen? Da die Deutsche Bundesbahn schon Erfahrungen mit der IHS gesammelt hatte, mochte auch der kleine Berliner Nahverkehrsbruder nicht länger zurückstehen und engagierte zunächst 20 Privatschützer zur Probe. Aber was sollte schon schiefgehen unter der schützenden Obhut der IHS. Einer Firma, die immerhin, denn eine Hand wäscht bekanntlich die andere, von einem hochrangigen Staatsdiener (a.D.) geleitet wird: Heribert Hellenbroich, ehemaliger oberster deutscher Verfassungsschützer. Beim IHS verfügt nicht nur Hellenbroich über eine weiße Sicherheitsweste. In seinem Unternehmen muß jeder ein unbeflecktes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen, bevor er für 12 Mark Stundenlohn das erste Mal auf U-Bahn-Streife geschickt wird. Doch so ungewohnt sind die Wachgänge für viele gar nicht.

Obwohl etliche seiner Kollegen wie er »früher bei der Volkspolizei oder bei der Armee waren«, versichert Karl-Heinz getreu dem Firmen-Image: »Wir haben niemand von der Stasi dabei.« Hellenbroich als Anti-MfS-Garant? In diesem Punkt zeigt sich Pressesprecher Wolfgang Göbel zuversichtlich: »Bei der S-Bahn im Ostteil der Stadt sieht die Sache anders aus.« Für deren Territorium ist noch die Reichsbahn (DR) zuständig, und die hat sich nun ihrerseits, um Vandalismus, Kriminalität und Skinheads, die sich gerade auf deren Strecken tummeln, entgegenzutreten, auch eine private Sicherheitstruppe zugelegt. Den Reichsbahnschützern eilt allerdings der Ruf voraus, etliche Mitarbeiter aus dem Ministerium für Staatssicherheit rekrutiert zu haben. Unter diesem Aspekt ist u.a. auch der Vorschlag Eberhard Diepgens zu verstehen, der jüngst einen Einsatz des Bundesgrenzschutzes auf den Strecken der S-Bahn gefordert hat.

Unterdessen unternimmt die BVG bereits Anstrengungen, weiteres Personal für den MOD auszubilden. Ob aber die IHS irgendwann einmal ganz ersetzt werden soll, ist noch nicht entschieden. Denn immerhin kann der neue Sicherheitsservice der BVG auch Erfolge vorweisen. So weiß Goebel beispielsweise zu berichten, daß die Kriminalitätsrate seit dem Einsatz der Truppe im U-Bahn-Bereich zurückgegangen sei. Messermorde wie jüngst auf der Linie 6, am Westphalweg, seien da noch immer die absolute Ausnahme. Überhaupt sei das Sicherheitsproblem der BVG eher ein »subjektives Phänomen«. Goebel weiter: »Die Kripo hat immer gelacht und gesagt: Eure Probleme möchten wir mal haben.« Das bestätigen neben einschlägigen Statistiken auch die persönlichen Erfahrungen der IHschützer: »Um uns sammeln sich gerade nachts Leute, die dann unseren Schutz suchen.« Und bei Frauen, auch aus der linken Szene, kommt der neue, jährlich 20 Millionen Mark teure Service an. Goebel kann schon fast ein Lied davon singen: »Bei mir rufen oft Frauen an, und die äußern sich eigentlich durchweg positiv über die Wachschutzpräsenz.«

»Ob vorher mehr los war, weiß ich nicht«, erzählen Bianca und Karl- Heinz übereinstimmend: »Seit wir da sind, ist es jedenfalls ziemlich ruhig... Ja sicher gab's mal 'ne Streife, da wurde dem einen 'ne Rippe gebrochen, ich glaube sogar, das waren Skins.« Aber Bianca schreitet ein: »Nee.« »Oder Autonome?« Der Unterschied ist zumindest für Karl- Heinz fließend. »Für Politik habe ich mich nie interessiert«, und die Türken kommen für ihn, der nach eigenem Bekunden immer der einfache Mann von der Straße geblieben ist, »aus der Wüste«.

»Meist haben wir es mit Besoffenen zu tun«, und manchmal werden sie auch angepöbelt. Ob Bianca keine Angst habe, bei so einem Job, und dann auch noch unbewaffnet? Bianca zögert, und wieder übernimmt ihr bulliger Kollege das Wort: »Nee, Waffen tragen wir nicht, das ist bei uns Prinzip. Wir wollen uns klar von den Schwarzen Sheriffs absetzen«, gibt Karl-Heinz die Firmenphilosophie wieder. Denn Hellenbroich setzt auf Deeskalation. »Wenn wirklich mal was los ist, können wir über Sprechfunk Verstärkung heranholen. Und außerdem haben wir noch unsere Hunde«. »Ein Hund ersetzt nach einer alten Polizeiweisheit bis zu sechs Wachmänner«, bestätigt Goebel mit schmunzelndem Unterton.

Etwa 30 Hunde, »die nachweislich nicht im Grenzdienst der DDR eingesetzt waren«, sorgen pro Schicht für den Schutz der Truppe. Allerdings, so häufig ist der Ernstfall nicht: »In diesem Jahr wurde erst ein einziges Mal ein Hund von einer Streife losgelassen, als die von mehreren Jugendlichen mit Stöcken attackiert wurde.« Ansonsten haben die »Fiffis« ihre Maulkörbe um, und sollen potentielle Täter nur abschrecken.

Wie alle Privatpersonen darf auch der Ordnungsdienst keine Verhaftungen vornehmen. Selbst Fahrscheinkontrollen sind den Streifen nicht gestattet, und das, obwohl die IHS von der BVG das Hausrecht zugesprochen bekommen hat. So müssen sich die privaten Aufpasser meist mit Besoffenen abgeben, werden von Fahrgästen nach Strecken, Bus-Anschlüssen gefragt, und fühlen sich auch schon mal als Bankschalter mißbraucht. Wie von der jungen Frau aus dem Buchverlag, die ihre Tasche mit sämtlichen Ausweisen und allem Geld im Büro liegen gelassen hatte und sich einfach nicht traute, die Heimfahrt, »schwarz« anzutreten, bis sich Karl-Heinz nach langem Bitten endlich erweichen ließ, der Dame mit drei Mark auszuhelfen. »Mal gespannt, ob das Geld zurückkomt.« Oder war's nur, weil die Presse dabei war? Andreas Kaiser

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen