Ärztlich unterstützter Selbstmord wird in den USA zum großen Thema

Die Gegensätze können kaum größer sein als gegenwärtig in den USA: Die Sprecher der großen religiösen Organisationen bezeichnen das Leben als „Geschenk Gottes“ und verurteilen den Selbstmord auch bei unheilbar kranken Patienten als Eingriff in den göttlichen Willen, der keinem Sterblichen zusteht. Dagegen stehen Suizid-Propagandisten wie Jack Kevorkian, der erst in der vergangenen Woche wieder zwei Patientinnen mit seinen „Selbstmord-Maschinen“ in den Tod half, oder der Bestsellerautor Derek Humphry mit seinem Buch Final Exit. Sie erregen mit ihren Plädoyers für freie Entscheidung und ärztliche Hilfe beim endgültigen Verlassen dieser Welt ungeheures Aufsehen. In der kommenden Woche wird es im Bundesstaat Washington eine Volksabstimmung über eine Initiative geben, nach der jeder Arzt das Recht erhalten soll, auf Wunsch des Patienten beim Selbstmord zu helfen oder sogar die tödliche Injektion zu geben. Washington an der Nordwestküste der USA könnte damit zum weltweiten Vorreiter einer Entwicklung werden, die von vielen herbeigesehnt, von der traditionellen Mehrheit aber heftig bekämpft wird. Die Gegner sind nicht nur jene, die „Körper und Leben des Menschen für das Eigentum des Schöpfers“ halten, wie Rabbi David Bleich in New York. Amerikas Katholiken und die traditionellen Protestanten argumentieren ähnlich. Aber auch Atheisten fürchten eine Entwicklung nach der Freigabe des ärztlich unterstützten Selbstmords, in der alte und leidende Menschen sehr schnell dazu gedrängt werden könnten, „rasch und leise von dannen zu gehen“. Der heftig umstrittene Kevorkian, in der Boulevardpresse oft als „Dr. Tod“ apostrophiert, hatte mit einem von ihm unterstützten Selbstmord einer todkranken Patientin weltweites Aufsehen erregt. Er war aber wegen unklarer Gesetzeslage im Bundesstaat Michigan nicht verurteilt worden und blieb auch jetzt auf freiem Fuß, nachdem er dort in der letzten Woche seine Todesmaschinen zwei anderen Frauen zur Verfügung gestellt hatte. Die Freiwilligkeit der Todeskandidatinnen hatte er sorgfältig auf Videobändern dokumentiert. Eine schied aus dem Leben, weil sie unter Multipler Sklerose litt, die andere, weil sie seit vielen Jahren ein äußerst schmerzhaftes Hüftleiden hatte. Seine Geräte, bei denen die Selbstmordkandidaten am Ende selbst — etwa durch Drücken eines Knopfes — die letzte Handlung vollziehen, sind seiner Überzeugung nach ein humanes und medizinisch geeignetes Mittel, damit Patienten ihren Leiden ein Ende setzen können. Alle Anfeindungen führt er auf das „dunkle Zeitalter“ zurück, in dem sich die Medizin seiner Meinung nach immer noch befindet. Der Bestsellerautor Derek Humphrey ist ebenfalls unter Beschuß geraten: Er soll seine erste Frau mit einem Kissen erstickt haben — behauptet seine zweite Frau: „Er ist ein Killer, ich weiß es“, schrieb sie einer Freundin. Seit dem 8. Oktober ist sie ebenfalls tot — Ursache unbekannt. Humphrey hatte sich allerdings schon vor einiger Zeit von ihr getrennt. Helmut Räther/dpa