: Ausgespielt?
■ Nach Hamburgs Kammerspielen droht nun auch dem Wolfgang-Borchert-Theater in Münster der Konkurs
Ein Faß ohne Boden“, meinte Münsters Kulturdezernent Hermann Janssen, als er von der Zahlungsunfähigkeit des Wolfgang- Borchert-Theaters erfuhr. In dessen Kasse nämlich hatte das städtische Rechnungsprüfungsamt im August ein Loch von 650.000 Mark ausgemacht. Das traditionsreiche Privattheater im Hauptbahnhof machte nicht das erste Mal von sich reden. Schon in den beiden Vorjahren hatten die Theaterleitung und der Vorstand des Fördervereins die Stadt mit der Botschaft erschreckt: 150.000 Mark zusätzlich — oder wir machen dicht. Beide Male tat sich — unter Umgehung der zuständigen Ratsgremien — das Stadtsäckel auf und manches Auge zu. „Eilkompetenz“ heißt die notdürftige Legitimierung des ungewöhnlichen Verfahrens, für das im übrigen der damalige Stadtkämmerer und jetzige Finanzminister des Landes Sachsen, Prof. Dr. Georg Milbradt, verantwortlich zeichnete.
Die Geschichte der 1956 gegründeten Borchert-Bühne macht Staunen. Nicht etwa eine Mitgliederversammlung, sondern Bürgermeisterin Hildegard Graf (CDU) und Kulturdezernent Hermann Janssen (CDU) hatten sich 1986 um die amtierende Vorstandsriege bemüht. Dieser gehören mit Münsters wichtigstem Steuerzahler, dem Kaufmann Egbert Snoek, dem Anglikstikprofessor Herbert Mainusch (CDU) sowie dem damaligen Leiter der Kreditabteilung der münsterschen Stadtsparkasse, einem Herrn Grammatke, offenbar drei dermaßen gut beleumundete Herren an, daß man es bis heute nicht für nötig gehalten hat, diesen Vorstand durch den Verein bestätigen zu lassen. Vereins- und satzungsrechtlich zeichnet daher seit 1986 niemand für den Förder- und gleichzeitigen Trägerverein des Borchert-Theaters verantwortlich.
Ähnliches gilt in bezug auf die künstlerische Leitung: Theaterleiter Wolfgang Rommerskirchen, dessen 1989 ausgelaufener Vertrag vom de jure nicht existenten Vorstand verlängert worden sein will, verfügt über keinen ordentlichen Dienstvertrag. Darüber hinaus kam jetzt durch das städtische Rechnungsprüfungsamt ans Licht, daß im Borchert-Theater jahrelang mit falschen Zahlen hantiert worden ist. Nicht nur deswegen macht derzeit das Wort von einer „kriminalistischen Komödie“ die Runde. Denn auch jenseits der „Bretter, die die Welt bedeuten“ wurde an der zähen Überlebensfähigkeit der, durch Land, Landschaftsverband und Stadt jährlich mit 880.000 Mark bezuschußten, haushoch verschuldeten Privatbühne gezimmert. So stundete die Stadt dem Theater rund 40.000 (nachgewiesen zweckentfremdete) Mark und „vergaß“ (Janssen) später, diese einzufordern.
Noch ungewöhnlicher gebärdete sich der Hauptgläubiger des Theaters, die Stadtsparkasse Münster. Die Bank, deren Kreditabteilungsleiter „nebenbei“ als Schatzmeister des Borchert-Fördervereins fungierte, erließ seinem Schuldner im Jahre 1987 223.000 Mark — ohne über ein Vergleichs- und Konkursverfahren zu versuchen, eine Teilsumme der Kredite zu retten. Zwar mag der Stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Sparkasse, Manfred Driemeier, darin „nichts Ungewöhnliches“ erkennnen. Vertreter anderer Banken befanden jedoch auf Anfrage den Vorgang als „zumindest merkwürdig“. Zumal die Stadtsparkasse wenige Wochen nach Erlassen besagter Summe den Kreditrahmen des Borchert-Theaters kräftig erhöhte: von 123.000 auf 228.000 Mark. Merkwürdig erscheint auch die Rolle des Münsterschen Finanzamtes. Das Rechnungsprüfungsamt förderte zwar einen vom Finanzamt bewilligten Antrag auf Gemeinnützigkeit zutage. Dieser datiert jedoch aus dem Jahre 1956. Auf der Suche nach weiteren Belegen über die regelmäßig vom Finanzamt durchzuführende Überprüfung der Gemeinnützigkeit wurden die städtischen Rechnungsprüfer indessen nicht fündig. Warum der bankrotte Verein, der laut Rechnungsprüfungsamt schon 1983 hätte Konkurs anmelden müssen, noch immer die steuerlichen Vorteile der Gemeinnützigkeit genießen kann, bleibt Geheimnis des Finanzamtes.
Münsters Rat drückt sich bislang in seltener Eintracht um eine Entscheidung. Einerseits will niemand als „Theaterkiller“ in die Annalen der Stadtgeschichte eingehen, andererseits hat das Rechnungsprüfungsamt bis 1994 ein städtisches Zuschußvolumen von mindestens 2,7 Millionen Mark veranschlagt, will man das Zimmertheater auch mittelfristig erhalten.
Aber auch in Münster regiert im Zuge der Haushaltsberatungen der Rotstift. Und so stellt sich denn die Frage nach der Notwendigkeit der Borchert-Bühne innerhalb Münsters Theaterlandschaft. Immerhin deckt das Kleine Haus der Städtischen Bühnen eine ähnliche Sparte ab, und dies auf ungleich höherem Niveau. Aber auch in der freien Theaterszene verfügt Münster über Alternativen. Das Theater im Pumpenhaus und das Transittheater fordern mit Recht mehr Unterstützung. Susanne Hagemann/
Christoph Georg Schulte
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