: Jazzfest und Off-Treff
■ Darius Milhaud, Mingus' »Epitaph« und Bermuda Blues
Das Jazzfest Berlin '91 hat begonnen. Das gut gefüllte Auditorium des Hauses der Kulturen der Welt erlebte einen Auftakt nach akademischem Maß. Die Schöpfung der Welt des zeitgenössischen Komponisten Darius Milhaud kam fast siebzig Jahre nach ihrer Uraufführung ganz unspektakulär leise und geradezu niedlich konventionell daher. Einzig die Polytonalität und die effektvollen rhythmischen Wechsel des Franzosen verwiesen auf die anschließende Präsentation von Charles Mingus' Epitaph. Vorgetragen wurden beide Kompositionen von den Musikern der Big Band und ihrem Leiter Gunther Schuller. Dessen Rekonstruktion des Nachlasses oder vielleicht auch die gefundene Partitur des Meisters kann nicht als der angekündigte große sinfonische Wurf gelten. Offenbar war Epitaph im überwiegenden Teil der Fundsache doch nur als Untertitel vermerkt.
So handelte es sich bei der Aufführung dann eher um ein Medley aus bekannten oder auch seltener gepielten Mingus-Titeln, die immer wieder mit Fragmenten aufgefüllt und abgebremst wurden, als um die Präsentation eines sinfonischen Meisterwerkes.
Eine Festivalstimmung mochte bei soviel bemühter Rekonstruktion nicht aufkommen. So verließ der Autor dieser Zeilen die zum Musentempel umgewandelte Kongreßhalle mit dem Vorsatz, wieder mehr Mingus im Original zu hören, und begab sich nach Berlin-Mitte ins »Tacheles« zum Eröffnungskonzert des dortigen Off Jazz Meeting.
Die unverputzten Wände, die wild zusammengeschweißte Metallkonstruktion, die man gemeinhin als Bar bezeichnet, und ein dicht gedrängt stehendes Publikum boten das passende Ambiente für das Quartett »Universal Congress of« aus Los Angeles. Seine Mischung aus Free Funk, Rhythm'n Blues und Harmolodics ließen kaum jemanden unbewegt und noch viel weniger abseits stehen. Spätestens bei den großartigen Soli des Saxophonisten Steve Moss und Joe Baizas an der Gitarre in der Coverversion des Henry-Threadgill-Titels Bermuda Blues kochte die Stimmung und ließ das Jazzfest für diesen Tag im gleichnamigen Dreieck verschwinden. Peter Thomé
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