: „Das ganze war eine Zumutung!“
Die Betriebssport-Mannschaft aus Leverkusen zog nach 109 fürchterlichen Minuten mit 1:0 gegen Christoph Daums enttäuschende Stuttgarter in das DFB-Pokal-Halbfinale ein ■ Aus Leverkusen Thomas Lötz
Von der Besetzung her war es die attraktivste Paarung, mit der das DFB- Pokal-Viertelfinale aufzuwarten hatte: Wenn der Zweite der aktuellen Bundesliga-Tabelle im Pokal auf den Dritten trifft, strömen normalerweise Tausende von Zuschauern in Erwartung einer hochklassigen Partie ins Stadion. Technische Preziosen wollen bewundert werden, man hofft auf erlauchtes Paßspiel, natürlich darf das Kämpferische nicht zu kurz kommen, und schließlich soll ins Halbfinale eingezogen werden. Aber der Pokal, der hat ja bekanntlich so seine eigenen Gesetze, und in Leverkusen, der Geisterstadt am Rhein, gelten die allemal.
So kamen zum Spiel zwischen Leverkusen und dem VFB Stuttgart ganze 10.000 Seelen, die mit ansehen mußten, was Christoph Daum, der Trainer des Verlierers aus Stuttgart, am Ende völlig zutreffend so zusammenfaßte: „Über weite Strecken spielte Armut gegen Elend. Das Ganze war eine Zumutung.“
Positiv eingestelle Menschen und Gewinner solcher Krampferei, wie der Leverkusener Coach Reinhard Saftig, sprechen abschließend gerne von „reinem Kampfspiel“. Um es kurz zu machen: Gekämpft wurde nicht mehr als in allen Pokalspielen dieser Erde, und wenn überhaupt, dann ausschließlich in den letzten 30 Minuten, in der Verlängerung.
Bis dahin überließen die Profis beider Teams die Zuschauer den unbarmherzigen Temperaturen, die sich an diesem Abend des Rheinlandes bemächtigt hatten. Elende Fehlpässe auf dem Rasen und kollektives Frieren auf den Rängen, daß war das Einzige, das in der regulären Spielzeit wirklich stattgefunden hatte.
Während die Spieler sich von ihrem plan- und willenlosen Tun in der Pause zur dritten Halbzeit mit Elektrolyt-Getränken stärkten, griff die Tribüne bereits zu Bratwurst, Kaffee oder eingeschmuggeltem Schnaps. Weil aber auch solches Ankämpfen gegen eingefrorene Glieder nicht das probate Mittel schien, erfuhr das kulinarische Aufwärmen mit mehreren Runden „La Ola“ zudem eine körperliche Fortsetzung. Auch der Stadionsprecher mochte da nicht länger tatenlos zusehen. Er fütterte die Ansagemaschinerie des Ulrich-Haberland-Stadions zwecks mentalen Dopings der schlappen Kicker mit musikalischen Reißern wie: „You make me feel mighty real“ und, die Perspektive wieder herstellend, „Berliner Luft“.
Tatsächlich zeigte dieses seitens der Leverkusen-Fans vorgetragene Engagement Wirkung. Zwar waren es in Folge die Stuttgarter, die aufdrehten und rackerten, aber sie hatten zu diesem Zeitpunkt gegenüber der Werkself auch ein Defizit von etwa 17 Eckbällen und neun Schüssen über das Tor aufzuholen. Leverkusens Kapitän Jorginho räckelte sich schmerzverzerrt am eigenen Strafraum, der VFB stürmte ruhelos weiter nach vorne, Leverkusen hielt dagegen — keine Zeit für Fair-Play.
Das alles entscheidende Tor für Leverkusen fiel schlußendlich auch noch. Der Stadionsprecher ließ im Jubel jedoch pietätvoll unausgesprochen, wer es erzielen konnte. Der Blick ging zur Anzeigetafel. Dort war zu lesen: „1:0, 109. Minute (Eigentor).“
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