Türsteher für das Europäische Haus

■ Polen soll durch eine Vereinbarung mit den Schengen- Staaten eine Pufferrolle gegen Westwanderung übernehmen

Solvente Mieter in gepflegter Wohnlage achten peinlich genau darauf, wer bei ihnen an die Tür klopft. Wer kann, der leistet sich einen Hausmeister. Auch ein Europäisches Haus braucht offensichtlich seine Türsteher und Rausschmeißer. Der erste wurde bereits verbindlich verpflichtet: Bereits am 29. März 1991 unterzeichnete die polnische Regierung eine Vereinbarung mit den damals noch sechs Mitgliedstaaten des Schengener Abkommens, die Polen faktisch die Rolle eines vorgelagerten Bundesgrenzschutzbeamten zuweist. Denn in dieser Vereinbarung verpflichtet sich die Regierung in Warschau, all jene Personen wiederaufzunehmen, die über Polen illegal in das Territorium eines der Schengen-Staaten eingereist sind.

Polen, so analysierte das niederländische „Standing Committee of Experts on Immigration, Refugee and Criminal Law“, das eine ausführliche Studie über die Vereinbarung verfaßt hat, übernimmt damit eine Funktion ähnlich der von Fluggesellschaften, die gemäß dem Schengener Abkommen mit Sanktionen belegt werden, wenn sie Flüchtlinge oder Migranten ohne Einreisepapiere nicht nur in die Benelux-Länder, nach Frankreich und Deutschland, sondern neuerdings auch nach Italien, Spanien und Portugal transportieren. Während letztere in diesem Fall mit Geldbußen belegt werden, wird die Unachtsamkeit polnischer Grenzer damit sanktioniert, daß Warschau die aus den Schengen- Staaten zurückgeschobenen Flüchtlinge wieder aufnehmen muß, was ja keine Regierung gerne tut.

Aus Sicht der Minister und Ministerialbürokraten der Schengen-Mitgliedstaaten mag diese Strategie höchst effektiv erscheinen. Flüchtlingsorganisationen wie das „Standing Committee“ sehen darin eine Verletzung internationaler Abkommen zum Schutz von Flüchtlingen. Ein kurdischer Flüchtling zum Beispiel, der die Schengener Mauer überwindet und sich via Deutschland nach Frankreich durchschlägt und dort Asyl beantragen will, könnte von französischen Behörden zwar in die Bundesrepublik zurückgeschoben werden. Dort hätte er jedoch gemäß dem Schengener Abkommen, so es denn ab 1993 in Kraft tritt, zumindest das Anrecht auf eine Überprüfung seines Flüchtlingsstatus. Ist er jedoch über Polen in das Schengen-Territorium illegal eingereist, findet er sich plötzlich auf einer polnischen Grenzstation wieder. Polen jedoch hat sich nie verpflichtet, solchen Flüchtlingen rechtliches Gehör zu schenken. Es kann die kurdische Familie ohne weiteres abschieben.

Verblüfft zeigte sich das niederländische „Standing Committee“ vor allem über den Umstand, daß die Vereinbarung zwischen Polen und den Schengen-Staaten weder die Aufmerksamkeit europäischer Parlamentarier noch der Öffentlichkeit erregt hat. Für die Bundesrepublik mag das nicht weiter verwunderlich sein, da Flüchtlingsorganisationen hier vollauf in der Debatte um den Artikel 16 („Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“) gefangen sind. In den Niederlanden immerhin sorgt das „Standing Committee“ für öffentliche Diskussion, in Polen selbst fehlt eine Infrastruktur von Flüchtlingsorganisationen noch völlig.

Was Polens Regierung motiviert hat, sich zur Pufferzone Westeuropas gegen Flüchtlinge und Migranten machen zu lassen, liegt auf der Hand. Zum einen haben die Polen im Gegenzug die Visumfreiheit erhalten, zum anderen hofft man, durch Kooperationsbereitschaft selbst Hilfe gegen die immer wieder in apokalytischen Zahlen prognostizierten Migranten aus der Sowjetunion zu erhalten. Andrea Böhm