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Geburtstag mit Zaungästen

■ Art Ensemble Of Chicago und Lester Bowies Brass Fantasy beim JazzFest

Es ist ein Kreuz mit dem JazzFest. Jedes Jahr heißt es wieder: das Programm ist langweilig, es wird zu wenig Innovation und zuviel Tradition geboten.

Bigbands dominieren das Geschehen im großen Saal, der in diesem Jahr wegen der Reparaturen in der Philharmonie in das Haus der Kulturen verlegt wurde. Interessante Newcomer werden, falls sie überhaupt auf der Gästeliste auftauchen, auf die nächtliche Delphi-Schiene abgeschoben.

Wenn sich nichts Grundlegendes ändert beim JazzFest, kann man auch die Kritik nur gebetmühlenartig wiederholen. Zum Glück lassen sich aber immer wieder auch Perlen finden im Programmgestrüpp.

Der Festivalleiter George Gruntz, inzwischen von mehreren Seiten wegen seiner Einfallslosigkeit bei der Programmauswahl während der letzten Jahre gescholten, übt sich derweil in eitler Selbstdarstellung im Programmheft und in der Ignoranz seiner Kritiker. Solange das Publikum die Konzerte ausverkauft, fühlt er sich in seiner Arbeit bestätigt. Im übrigen gedenkt er die Kritik an seiner Amtsführung durch den in Berlin fast immer verfangenden Trick der Beteiligung Berliner Lokalkoryphäen zu ersticken. Ob diese Taktik langfristig aufgeht, darüber sollten die Verantwortlichen einmal heftigst nachdenken, am besten mit dem Ergebnis, diese Taktik zu verhindern.

Im Vorwort zum Programmheft des JazzFests bezeichnet er sich inzwischen als George Gruntz III. Aber auch Feldherren fallen irgendwann vom hohen Roß. Es ist nicht einzusehen, warum jemand auf Lebenszeit Leiter eines Jazzfestivals sein soll, das einen öffentlich finanzierten Etat von einer runden Million aufweist, wenn sogar Politiker abwählbar sind.

Ignorieren wir George den Dritten und kommen zur Musik: Am Donnerstag abend galt es einen Geburtstag zu feiern. Auch wenn niemand das genaue Datum kennt, wann fünf junge Musiker zum ersten Mal zusammen als Art Ensemble Of Chicago spielten, es muß vor ziemlich genau 25 Jahren gewesen sein.

Das Art Ensemble avancierte zu einer der wichtigsten und stilprägendsden Jazzbands der Gegenwart. Neben diversen prämierten Platten, die man bis vor einigen Jahren ausschließlich beim Münchener ECM- Label ablieferte, waren die Chicagoer aber vor allem eine faszinierende Liveband. Der Charme der verkleideten und mit bunten Pinselstrichen maskierten Männer unter der heimlichen Leitung eines Herren, der noch heute darauf besteht, einen weißen Arztkittel bei Auftritten zu tragen, war Wegbegleiter der Entwicklung des modernen Jazz. Außerdem wurde Chicago mit der von ihnen und Muhal Richard Abrams (der ebenfalls auf dem Festival spielt) gegründeten Musikerorganisation AACM zu einem Zentrum des Jazz.

Lester Bowie, der Trompeter im Kittel, steht auch beim Konzert im Haus der Kulturen im Mittelpunkt. Schelmisch hält er sein Instrument in die Höhe, gibt mit einem Schwenk der Trompete den Einsatz und zupft sich an seinem langen Bart, wenn er nicht gerade alle Finger braucht, um die magischen drei Tasten zu bedienen. Sein Trompetenspiel setzt grelle, aber doch warme Farbtupfer, die mit den rot-blauen Strichen auf Roscoe Mitchells Anzug und dessen Saxophontönen korrespondieren.

Das Art Ensemble spielt wie immer und spielt eigentlich auch immer die gleiche Musik, aber irgend etwas preßt einen immer wieder vor Begeisterung in den Sessel. Es ist eigentlich nichts weiter als urbane Buschmusik, wie sei es selbst einmal nannten.

Vollends in Begeisterungsstürme möchte man ausbrechen, als als besonderes Geburtstagspräsent auch noch die Musiker von Lester Bowies eigener Band »Brass Fantasy« dazustoßen. Die neun Bläser unterstützen das rhythmische Feuerwerk des Art Ensembles mit einer Lawine geblasener Energie. Besondere Spezialität der Brass Fantasy ist das Recycling alter Hits und Evergreens der Swingära der Ballhaus-Bigbands in den USA. Das Geburtstagsständchen Saving all my Love for you swingt mit aller Macht gegen die Architektur des Hauses der Kulturen an. Man möchte die Stühle rausreißen, dem biederen Publikum einen Arschtritt geben und die Kongreßhalle zum Tanzsaal umfunktionieren.

Genau dies versucht die dritte Gruppe des Abends, die sich zu Art Ensemble und Brass Fantasy auf die Bühne begibt. Der »Amabutho Male Chorus«, ein Männerchor aus Südafrika, der von Lester Bowie ebenfalls zum Geburtstag eingeladen wurde, erweist sich leider als das ziemlich genaue Abbild eines peinlichen Folklorevereins.

Ihr gar nicht so schlechter Gesang wird überlagert durch die Darbietung zweier Herren des Male Chorus, die, im gestreiften Leopardenfelltanga über die Bühne hüpfend, versuchen das Publikum zum Mitklatschen und -tanzen zu animieren. Was ich vorher freiwillig getan hätte, wird nun zur Angst des Zuschauers in der ersten Reihe: gleich ziehen sie dich auf die Bühne und du mußt tanzen. Die wenigen tanzbereiten Opfer werden sofort gierig von den Fernsehkameras bedrängt. Im Club Mediteran in Nairobi kann es nicht lebhafter zugehen.

Als Zugabe dann noch einmal Art Ensemble und Brass vereint. Aber die furiose Power des Beginns ist mit der schwarzen Folkloretruppe verschwunden. So gerät das Konzert zur viel zu kurzen Geburtstagsparty. Nach nicht einmal zwei Stunden ist alles vorbei. Beim nächsten Jubiläum ist Bowie und seinen Mannen zu raten, die Gäste sorgfältiger auszuwählen. Andreas Becker

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