: Ein Platz für Flieger
■ Ein Großflughafen südlich von Berlin soll die Seit der Wende überforderten Flughäfen in Tegel, Tempelhof und Schönefeld entlasten. Daß ein solches Mammutprojekt überhaupt notwendig ist, wird jedoch von Fachleuten...
Ein Großflughafen südlich von Berlin soll die seit der Wende überforderten Flughäfen in Tegel, Tempelhof und Schönefeld entlasten. Daß ein solches Mammutprojekt überhaupt notwendig ist, wird jedoch von Fachleuten bezweifelt. VON DIRK WILDT
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uf Berliner Verkehrswegen gerät seit der Maueröffnung einiges durcheinander: Autofahrer bleiben auf dem Weg zur 3,5-Millionen-Metropole schon hunderte Kilometer entfernt im Stau stecken, Senatsverwaltungen müssen jahrzehntelange Planungen umwerfen, und Millionen Passagiere sprengen die Kapazitäten der insgesamt drei Flughäfen.
In solchen dynamischen Zeiten neigen Politiker, Stadtplaner und Wirtschaftsleute dazu, weit vorauszudenken und sich schon heute Gedanken über das Berlin nach der Jahrtausendwende zu machen. Die Stadt an der Spree wird dann nicht nur sechs Millionen Einwohner, sondern auch bis zum Jahr 2010 einen neuen Flughafen haben. Mit 40 Millionen Fluggästen pro Jahr würde „Berlin-International“ zum größten Rollfeld der Welt zählen. Das Brandenburger Ministerium für Umwelt und Raumordnung beginnt gerade mit der Prüfung von vier Standorten im Süden von Berlin.
Die Zeit scheint zu drängen. Der Flughafen Tegel, der ursprünglich für fünf Millionen Passagiere ausgelegt war, mußte 1989 fast sechs Millionen Fluggäste bewältigen und soll in diesem Jahr die Sieben-Millionen-Grenze sprengen. Für das Jahr 2000 erwartet die Berliner Flughafen GmbH 20 Millionen, die Lufthansa 22 Millionen Fluggäste, und nach den Schätzungen der Fluggesellschaft werden im Jahr 2010 um die 38 Millionen Menschen von oder über Berlin fliegen. Die erste Start- und Landebahn von „Berlin-International“ soll bereits im Jahr 2000 in Betrieb gehen und die bisherigen Flughäfen — Tegel, Tempelhof und Schönefeld — ersetzen. Darauf einigten sich Berlin und Brandenburg in einer gemeinsamen Vereinbarung. Doch inzwischen wird verwaltungsintern nicht mehr an eine Inbetriebnahme bis zu diesem Zeitpunkt geglaubt. Auch sollen die bisherigen Flughäfen nicht mehr mit der Eröffnung des südlich gelegenen „Kompakt“-Flughafens geschlossen werden, sondern erst, wenn die zweite Startbahn fertiggestellt ist, erklärte Berlins Umweltsenator Volker Hassemer (CDU). Bis dahin wird Tegel für eine Kapazität von neun Millionen Fluggästen (bis Ende '92) und Schönefeld auf die Abfertigung von 18 Millionen Passagieren (bis 2005) ausgebaut, Tempelhof soll vor seiner Schließung (frühestens 1996) statt der derzeitig 300.000 eine Million Kunden bedienen. Es wird in Berlin also immer lauter werden, und es sieht auch danach aus, als müßten die Berliner den wachsenden Lärmterror noch mindestens zwei Jahrzehnte ertragen.
Die bisher aufgestellten Prognosen sind jedoch ungesichert — zumindest wenn man die Auffassung von Friedel Rödig, Generalbevollmächtigter der Lufthansa für Berlin und die neuen Bundesländer, teilt, daß „in eine Prognose alles einfließen muß, was den Verkehr negativ wie positiv beeinflußt“. Rödig behauptete, daß seine Fluggesellschaft „mit Sicherheit“ den Stand der heutigen Umweltdiskussion bedacht habe. Doch Franzjosef Darius, Umweltschutzbeauftragter der Lufthansa in Hamburg, mußte zugeben, es sei in der Prognose noch nicht einmal berücksichtigt worden, daß seine eigene Fluggesellschaft Flüge unter 400 Kilometer ökologisch bedenklich und ökonomisch kritisch bewertet. Kurzstreckenflüge sollten deshalb auf die Schiene verlegt werden. Doch in der Lufthansa- Welt im Jahr 2000 steigt wohl kaum ein Passagier auf die Eisenbahn um.
Eine Studie, die das Bundesverkehrsministerium bei der Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Auftrag gegeben hat, kommt ohnehin zu dem Schluß, daß im Jahr 2000 fünf Millionen Passagiere weniger fliegen werden, als die Lufthansa prophezeit. Aber selbst auf die 16,8 Millionen (unter der Voraussetzung, daß Olympia in der Hauptstadt stattfindet) kommt die Forschungsanstalt nur unter der „Prämisse der Engpaßfreiheit“ — das heißt: Jeder, der fliegen will, muß fliegen können, egal, ob genug Flugzeuge, Luftraum oder Flughäfen vorhanden sind.
Die DLR macht in seiner Studie dann auch darauf aufmerksam, daß „die Werte teilweise zu hoch sind“, weil die Überlastung westdeutscher Flughäfen nicht berücksichtigt werden durfte. Auch haben sie in den neuen Bundesländern ein ausgesprochen starkes Wirtschaftswachstum zugrunde gelegt, das nur erwartet werden dürfe, „wenn zusätzliche Anstrengungen zur Beschleunigung der wirtschaftlichen Umstrukturierung unternommen werden“.
Die Prognosen sind für die Standortwahl eines neuen Großflughafens schließlich nicht unerheblich. Es sei ein Unterschied, ob pro Jahr 15 oder 40 Millionen Menschen fünfzig Kilometer aus der Stadt zum Flughafen transportiert werden müßten, so Dr. Mader, zuständiger Abteilungsleiter für das Raumordnungsverfahren. Es würden weniger Hotels und — da weniger Arbeitsplätze entstehen würden — auch weniger Wohnungen gebaut.
In Potsdam ahnt man wohl schon, daß die innerstädtischen Flughäfen nicht unbedingt geschlossen und „Berlin-International“ — ähnlich wie Tegel nach seiner Eröffnung im Jahr 1974 — zum „Geisterflughafen“ werden könnte. Sollte das Bundesland die „Last“ eines Großflughafens auf sich nehmen, „dann wollen wir von Berlin auch die Garantie, daß er benutzt wird“, kündigt Mader an. Berlin kann diese Garantie allerdings nicht geben. Der Senat hat es bisher nicht einmal geschafft, die Flüge zwischen Tegel und Schönefeld gleichmäßig aufzuteilen, obwohl er dies vollmundig angekündigt hatte.
In Berlins Flughafen-Geschichte gab es schon einmal ähnliche Probleme. Als 1972 in Tegel Richtfest gefeiert wurde, munkelten die Teilnehmer, daß der Flughafen wohl der erste in der Welt sein werde, der bei seiner Eröffnung nicht zu klein sei. Infolge des Transitabkommens zwischen der BRD und der DDR wurde das Reisen zwischen Berlin und Westdeutschland auf Schiene und Straße zu diesem Zeitpunkt erheblich erleichtert. Die Zahl von 6,6 Millionen Fluggästen im Jahr 1972 sank bis 1974 auf 4,5 Millionen, zudem wollten die Fluggesellschaften British Airways und Pan Am nicht von ihrem alten Standort Tempelhof nach Tegel umziehen. Berlin zahlte den beiden Gesellschaften 10 Millionen Mark, um sie schließlich doch nach Tegel zu locken.
Das Transitabkommen spielt heute keine Rolle mehr — das weiter wachsende Ozonloch wird zukünftig Einfluß auf den Luftverkehr haben. Umweltpolitischen Beschränkungen könnten die Fluggesellschaften nur entgehen, wenn sie leise und saubere Antriebstechnik entwickeln — doch die ist nicht in Sicht. Wenn im Jahr 2000 oder auch erst 2010 deshalb aber immer mehr Boeings und Airbusse auf dem Rollfeld stehen bleiben müssen, wird kein neuer Flughafen gebraucht.
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