Das plötzliche Ende einer Tageszeitung in Madrid

Der regierungskritische 'El Independiente‘ soll zu einer Wochenzeitung zurechtgestutzt werden, nachdem sich eine regierungsnahe Organisation in den Verlag eingekauft hatte/ Mitarbeiter argwöhnen, daß der Sozialistischen Partei die Linie des Blattes nicht gepaßt hat  ■ Aus Madrid Antje Bauer

„Wir sind angeschissen.“ Diese Meinung eines leitenden Mitglieds der Madrider Tageszeitung 'El Independiente‘ verdeutlicht am genauesten die Stimmung, die seit dem 25.0ktober im Betrieb herrscht. An diesem Tag erfuhr die Belegschaft, daß 72 Prozent der Aktien ihrer Zeitung an einen neuen Eigentümer übergegangen waren und die Zukunft des Blattes ungewiß war. Genau eine Woche später, am 31.Oktober, erschien 'El Independiente‘ zum vorerst letzten Mal.

Kummer sind die Mitarbeiter gewohnt. Das kritische linksliberale Blatt, das 1987 als Wochenblatt herauskam, wurde 1989 zu einer Tageszeitung umgewandelt. Doch das Überleben war schwer. In Madrid waren in den vergangenen Jahren mehrere Tageszeitungen entstanden, die sich nun eine mörderische Konkurrenz liefern. 'El Pais‘, 'El Mundo‘, 'El Sol‘, 'Diario 16‘, 'El Independiente‘ und 'Ya‘ sind Tageszeitungen liberalen Zuschnitts, die sich um die selbe aufgeklärt-urbane Leserschaft prügeln müssen. 'El Independiente‘ stand mit circa 20.000 verkauften Exemplaren an der untersten Stufe der Leiter und hatte darüberhinaus im Gegensatz zu den anderen Zeitungen darauf verzichtet, durch kleine Geschenke Käufer zu gewinnen.

Im vergangenen Frühjahr, inmitten einer tiefen Krise, in der 'El Independiente‘ wegen Überschuldung von der Schließung bedroht war, übernahm die Blindenorganisation ONCE etwas mehr als 72 Prozent der Aktien an „Ediobser“, dem Verlag der Zeitung. Der Kauf durch die ONCE wurde in der spanischen Öffentlichkeit heftig kritisiert, da sich die ONCE als soziale Einrichtung nicht wie ein normaler Unternehmer gebären dürfe. Die Blindenorganisation hatten ursprünglich nur den Verkauf der staatlichen Lotterie inne. Aufgrund dieses steuerfreien Geschäfts hat sich ONCE in den vergangenen Jahren zu einem finanzkräftigen Konzern gemausert, der in zahlreichen Branchen, darunter Banken, Immobiliengeschäften und Medien, investiert hat. Im privaten kommerziellen Fernsehsender „Tele5“, an dem der Medienriese Silvio Berlusconi mit 25 Prozent beteiligt ist, hat sich auch die ONCE zu 25 Prozent eingekauft.

Der Einstieg der ONCE in den 'Independiente‘ ging einher mit einer Verpflichtung der Blindenorganisation, die Belegschaft beizubehalten, die Zeitung weiterzuentwickeln und ihre Linie zu respektieren. Direkt nach dem Einstieg der ONCE mußte der Chefredakteur und Mitbegründer des 'Independiente‘, Pablo Sebastian, gehen. Doch mit der Zeitung ging es langsam aufwärts. Selbst im Sommerlochmonat August stieg die Auflage stetig bis auf über 40.000 verkaufte Exemplare. Auch an der regierungskritischen Linie des Blattes war keine negative Änderung zu bemerken, obwohl die ONCE vom Sozialministerium kontrolliert wird und im Ruch steht, der regierenden Sozialistischen Partei allzu verpflichtet zu sein. Im November sollte erneut das Kapital erweitert werden, die Zeitung sollte ein neues Gesicht und einige neue Beilagen erhalten. Das Geld dafür sollte von neuen Aktionären kommen, beziehungsweise, falls die in dem vorgesehenen Zeitraum nicht zu finden wären, wollte die ONCE einspringen.

Die plötzliche Nachricht vom Verkauf aller Aktien der ONCE an den Unternehmer Jacques Hachuel überraschte selbst die Geschäftsleitung. Hachuel, dem nachgesagt wird, sein Geld auf mafiosen Wegen verdient zu haben, hatte zuvor sieben Prozent der Aktien der Zeitung inne. In einer Erklärung von „Servifilm“, der aufkaufenden Firma, heißt es, die Käufer hätten sich verpflichtet, die Zeitung aufrechtzuerhalten, freilich mit einer finanziell vertretbaren Häufigkeit.

Angesichts von geschätzten jährlichen Verlusten in Höhe von umgerechnet 40 Millionen DM schloß Servifilm die Rückverwandlung des 'Independiente‘ in eine Wochenzeitung von vornherein nicht aus — und tatsächlich ließ sie sich wenig Zeit mit der Umsetzung dieses Vorhabens. Am 31. Oktober erschien der 'Independiente‘ zum letzten Mal als Tageszeitung, und soll in der ersten Dezemberwoche als Wochenzeitung erneut erscheinen.

Diese Umwandlung wird nicht nur mehr als 100 der momentan 274 Beschäftigten den Arbeitsplatz kosten — die Belegschaft fürchtet auch, daß dies nur ein kurzer Schlenker auf dem Weg zur völligen Schließung der politisch unbequemen Zeitung sein wird. „Der Sozialistischen Partei paßt unsere Linie nicht“, beklagt sich ein Redakteur gegenüber der taz, „und wahrscheinlich ist die ONCE nur eingestiegen, um uns letztlich durch krumme Touren kaputtzumachen.“ An Wahrscheinlichkeit gewinnt diese These durch den neuesten Zug der ONCE: Quasi als Belohnung für den Kauf des 'Independiente‘ erhielt Hachuel nun die Möglichkeit, sich zu 15 Prozent in das rentable Kommerzfernsehen Tele5 einzukaufen.

„Soll keiner sich die Hände reiben“, hieß es kurz vor der Schließung unter dem Titel „Periodico kaputt?“. „Denn das, was jetzt passiert, ist eine Warnung an alle, so daß sie sich jetzt wappnen müssen.“