Schlußrunde in Madrid
: Von „Terrorist“ zu „Terrorist“

Volle Breitseiten zwischen Syriens Außenminister Schara und Israels Chef Schamir gaben gestern den Ton an. Wo Schamir ein terroristisches System ausmachte, fand Schara ein altes Fahndungsfoto. Vorwürfe, die nicht weiterführten.  ■ Aus Madrid Beate Seel

Überraschung am Freitag nachmittag in Madrid: Es war nicht US-Außenminister Baker oder sein sowjetischen Amtskollege Pankin, sondern die Sprecherin der Palästinenser, Hanan Aschrawi, die auf einer Pressekonferenz die Nachricht des Tages verkündete: Die bilateralen Gespräche sollen am morgigen Sonntag in Madrid beginnen. Allerdings werden dabei nur Fragen des Procederes und des weiteren Orts der Gespräche verhandelt werden. Wie es dann tatsächlich weitergeht, weiß jetzt noch niemand.

Kurz zuvor war noch völlig offen, wie es nun weitergehen sollte. Die Konferenz wurde am Vormittag für zwei Stunden unterbrochen, um in letzter Minute doch noch einen Kompromiß in der strittigen Frage des Ortes der bilateralen Gespräche zu finden — vergebens. Bereits in der offiziellen Einladung für die Konferenz hatte es nur geheißen, daß die Gespräche vier Tage nach deren Beginn anfangen sollen. Auch gestern wiederholte der israelische Ministerpräsident Schamir nochmals seine „Einladung“ an die Konfliktparteien, die erste Runde in Israel stattfinden zu lassen, eine Forderung, der die Palästinenser und die arabischen Staaten keinesfalls nachkommen wollten. So mußte Baker am Ende der Konferenz sein Schlußwort sprechen, ohne sagen zu können, wann und wo die direkten Verhandlungen zwischen Israel und seinen Nachbarn stattfinden werden. Es sei kaum nachvollziehbar, so Baker, wie eine Partei sich jetzt wegen einer Meinungsverschiedenheit über den Ort weigern könnte, an diesen Verhandlungen teilzunehmen.

Der US-amerikanische Außenminister machte in seiner Bilanz der Redebeiträge drei große Linien aus: die Sehnsucht nach Frieden, das Streben der Völker, in ihrem Land die Geschicke in die eigene Hand zu nehmen, und das Bedürfnis nach Sicherheit. „Was die Parteien in dieser Woche wirklich gesagt haben, ist, daß diese Kernpunkte — Land, Frieden und Sicherheit — untrennbare Bestandteile bei der Suche nach einer umfassenden Lösung sind“, betonte Baker optimistisch. Kritisch merkte er an, daß vertrauensbildende Maßnahmen ausgeblieben seien. Für die Zukunft gab er den Beteiligten in sehr eindringlichen Worten mit auf den Weg, daß es nun in ihrer Hand und ihrer Verantwortung liege, den begonnenen Prozeß in den bilateralen Gesprächen weiterzuführen.

Vor der Unterbrechung der letzten Sitzung hatten alle Beteiligten nach den hart und sehr kontrovers vorgetragenen Standpunkten vom Vortag die Möglichkeit zu einer Stellungnahme. Alle betonten, daß sie an der Hoffnung auf Frieden festhalten, und gaben zu, daß es sinnlos sei, sich auf die Ebene von gegenseitigen Vorwürfen und rigiden ideologischen Positionen zu begeben oder in historische Polemiken zu verfallen.

Der Ton am Donnerstag war von Schamir gesetzt worden, vor allem aber auch vom syrischen Außenminister Faruk al Schara. Er hatte am Abend eine polarisierende und teilweise skandalöse Rede gehalten, in der er die arabische Welt — und damit auch sein Land — als einen einzigen Hort von Frieden, Gerechtigkeit und Toleranz darstellte und sich darüber hinaus zu der Behauptung verstieg, den Juden in der arabischen Welt sei noch nie auch nur ein Härchen gekrümmt worden. Wie um dem verbreiteten Kopfschütteln und der massiven Kritik an diesem Beitrag die Spitze zu nehmen, wies Baker in seinen Schlußworten nochmals ausdrücklich darauf hin, daß der syrische Staatschef Assad ihm persönlich versichert habe, sein Land habe die historische Entscheidung getroffen, am Friedensprozeß teilzunehmen. Doch gesagt war gesagt.

Trotz der Appelle war es daher kein Wunder, wenn die Hauptkontrahenten, Israel und Syrien, es sich nicht verkneifen konnten, wechselseitige Unterstellungen und Vorwürfe nochmals aufzugreifen. Den Vogel schoß dabei erneut Schara ab, als er ein altes Fahndungsfoto des damals 32jährigen Schamir hochhielt, der wegen Anschlägen gegen die britische Mandatsmacht in Palästina gesucht wurde. Der israelische Ministerpräsident hielt Syrien in seiner Replik die Unterdrückung, Verfolgung und Vertreibung der alten jüdischen Gemeinschaft vor und wies zudem darauf hin, daß das Land bis heute Gast von „terroristischen Organisationen“ und eines der weltweit tyrannischsten Systeme sein. Ein heftiger Schlagabtausch der beiden Hardliner.

Schamir setzte sich jedoch in differenzierterer Weise mit den einzelnen arabischen Stellungnahmen auseinander als sein stellvertretender Außenminister Benjamin Nethanyahu. Dieser hatte am Vorabend auf einer Pressekonferenz jeder, aber auch jeder, arabischen Äußerung nur die Absicht unterstellt, Israel vernichten zu wollen. Schamir hob demgegenüber die Beiträge Jordaniens und des Libanons positiv hervor, mit beiden Staaten sei es möglich, in den bilateralen Verhandlungen eine Lösung zu erreichen. An die Adresse der „palästinensischen Araber“ — eine Formulierung, die ihnen die nationale Identität abspenstig macht — erklärte Schamir, sie seien die nächsten Nachbarn Israels, es gebe vielerlei Verbindungen zwischen ihrem Leben und dem der Israelis: „Dies ist ein weiterer Grund für die Bedeutung, die wir einer Verständigung mit dieser Gemeinschaft beimessen.“ Wenig zwar, aber doch deutlich mehr als am Vortag.

Zentrale Punkte in den arabischen Stellungnahmen waren gestern wieder die internationale Legalität, die UN-Resolutionen 242 und 338, die Formel „Land für Frieden“. Mehrfach wurde die Kluft zwischen der israelischen Position, die auf diese Entschließungen nicht einging, und der Tatsache benannt, daß die Resolutionen 242/338 im Einladungsschreiben für die Konferenz als die Basis des Prozesses festgeschreiben wurde.

Die sprachlich geschliffenste Rede hielt, wie bereits am Vortag, der palästinensische Vertreter Haidar Abdul Shafi. „Madrid fordert von uns eine minimale Ebene eines von Sympathie getragenen Verständnisses, um den Prozeß des Engagements und der Kommunikation zu beginnen“, sagte Shafi. Er zeigte sich enttäuscht über den israelischen Beitrag, der in einer anachronistischen, antagonistischen Rhetorik gefangen geblieben sei. Auch Shafi ging auf das Prinzip „Land gegen Frieden“ ein, betonte, daß die besetzten Gebiete, einschließlich Ostjerusalems, seinen Eigentümern zurückgegeben werden müßten. Sicherheit, so Shafi, könne niemals durch die Aneignung des Landes eines anderen Volkes erreicht werden, sondern nur durch Frieden: „Wir, die Bevölkerung Palästinas, bieten hiermit den Israelis einen alternativen Weg zu Frieden und Sicherheit: Laßt gegenseitige Angst und Mißtrauen sein, begegnet uns als Gleiche im Rahmen einer Zweistaatenlösung und laßt uns für die Entwicklung und den Wohlstand unserer Region arbeiten [...] Wir legen euch dringend nahe, diese Gelegenheit zu nutzen und die Herausforderung des Friedens anzunehmen.“