: ZWISCHEN DEN RILLEN
■ Prince, in die Unkenntlichkeit
Oft hat Prince die Erwartungen seiner Fans durchkreuzt; diesmal scheint es mich getroffen zu haben. Erstmal kam sein neues Album um Monate zu spät (und nicht — wie angekündigt — im Sommer, als ich es gebraucht hätte), und dann scheinen zunächst alle Hoffnungen, es würde sich bei Diamonds & Pearls um etwas Besonderes handeln, gegenstandslos. Beim ersten Hören bleibt kaum etwas hängen.
Zwar setzt sich gute Pop-Musik nur auf Dauer fest, und ihre Qualität beweist sich erst in der Repetition, weil die Bedürfnisse nach Vertrautheit keine Aufregung vertragen; und bessere Pop-Musik wartet erst nach hartnäckiger Wiederholung mit all den vielen Details auf, die hinter ihrer Trivialität versteckt sind. Nur wußte Prince bisher mit diesem Dilemma immer umzugehen. Zwar sind diesmal seine Songs übervoll arrangiert, aber dennoch scheint ihnen das zu fehlen, was sie bisher zusammengehalten hat, wenn er die Geschichte von Blues, Funk, Soul, Hip-Hop, Folk, Rock und die der Beatles weiterschrieb. Sein Eklektizismus und die Virtuosität, mit der er die zitierten Stile beherrscht, verlieren ihr Zentrum, wenn die Unverwechselbarkeit seiner Stimme fehlt. Und die nimmt er auf Diamonds & Pearls allzuoft zurück. Kokett versteckt er sich hinter all den anderen VokalistInnen seiner New Power Generation, guten Studio- Rappern und Soul-Stimmen, denen aber nichts Eigenes anhaftet und die deshalb im Mainstream-Zitat aufgehen. Dann lebt Prince nur noch im Text weiter (wie weiland Zappa, den er überhaupt in letzter Zeit zu oft zu hören scheint — umgekehrt wäre es besser). Und da, wo er selbst singt, treibt er seine Stimm-Imitation so weit, daß er auch perfekt hinter den Originalen verschwindet.
Vielleicht ist es ein Album für all die Einsteiger, die bisher immer behaupteten, Prince könne nicht singen, und damit vermutlich die schrägen Farben, spitzen Schreie und Brechungen meinten, die den Reichtum seiner Stimme ausmachten. Auch fehlen, wie schon bei den letzten beiden Alben, Lovesexy und Graffiti Bridge, die ökonomischen Arrangements, und zum erstenmal stört mich, was mir bisher so sympathisch war: die von ihm schon bekannte mangelnde Sorgfalt in der Auswahl seiner Sounds. Desto trotz gibt's nichts zu beklagen, und es hilft auch kein „früher war alles besser“, weil Prince auch hiermit nur radikalisiert, was er seit Jahren konsequent thematisiert: die Unmöglichkeit des Personalstils, an dessen Verschwinden er arbeitet — bis zur Unkenntlichkeit.
Und für die, die sich damit abgefunden haben, wie für die, für die das Album ohnehin funktioniert, plaziert er am Ende der CD drei Stücke voller überraschender Reize. Die „23 positions in a one night stand“, von denen in dem ausgekoppelten Hit Gett off die Rede ist, sind langweilig gegen die aberwitzigen Nuancen, mit denen Prince in Insatiable zu verführen weiß. Nur mit seiner Stimme. Wort für Wort wechselt er das Vocal-Arrangement, und ich kann mich nicht erinnern, je in einem Song so viele differenzierte Sprechlagen gehört zu haben; sämtlich erzählen sie an der phantastischen Geschichte einer erotischen Nacht („it's two forty-five“) vor der Videokamera. Gegen den akustischen Voyeurismus dieser Bilder ist der aus Sex, Lügen und Video vergleichsweise prüde. Nur die instrumentale Seite bleibt hier wieder zurück: allzu bekannte „flute“-, schlechte „brass“- und zu hoch eingesetzte „upright bass“-samples bilden den mechanischen Rahmen, in dem seine Stimme aufgeht — bis zu dem unvergeßlichen Schrei am Ende, wenn das Textbuch schon längst aufgehört hat zu verraten, wie's weiter geht.
In Push und Live 4 Live versammelt er noch einmal die rasantesten Dance-Ticks; trotz Breaks und unterhaltender Hörspielkulisse läßt die Kraft, die die Songs nach vorne treibt, nie nach. Das geht im walkman wie in der Disco, wo aber wahrscheinlich diese Stücke keinen Einfluß finden.
Prince & The New Power Generation:
Diamonds & Pearls. Paisley Park/WEA 759925379/2
PRINCE,INDIEUNKENNTLICHKEIT
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