Der Club der lebend Frohen

Die Tanz-WM der Profis als Modell einer multikulturellen und multinationalen Gesellschaft  ■ Aus Berlin Elke Wittich

Mit der Ausrichtung der Weltmeisterschaft der Standard-Tänze durfte Berlin einmal wieder „Hauptstadt der Bewegung“ sein. Endlich, so seufzt der Liebhaber leise, denn solch wunderschöne Veranstaltungen sind selten geworden. Das Gros der Menschen wird vom Vulgären, Lauten angezogen, für die Beschäftigung mit dem Guten, dem Reinen und dem Schönen fehlt — unter uns gesagt — meist das Niveau. Wer aber in die Gesichter der Tanzenden geblickt hat, die frischen, unverbrauchten, der konnte sich von Herzen freuen. Da war nichts Künstliches oder Unnatürliches, da war noch Herzensbildung zu sehen.

Und erst die Roben: Da tüllte und tafte es nach Herzenslust. Seide umschmeichelt solargebräunte Körper, Petticoats wippen und Chiffon weht. Nur wenige Mißgriffe störten das entzückte Auge: Die Asiaten unternahmen rührende Versuche, unseren Geschmack zu treffen. Was in der Form zwar glückte, die Farbkombinationen jedoch beleidigten gleichwohl westliche Augen.

Doch auch Europas Geschmäcker sind unterschiedlich: Da trug eine Polin dunkelbraunen Nagellack zu ihrer türkis-weißen Kombination. Den Norwegern ist lachsrosa nicht auszureden, die Italiener traten in grauenvollem lila-türkis an. Gewagt: Die Grace-Jones-Frisur zum zartrosa Chiffontraum. Einzig die Preisrichter wußten mit solchen optischen Auswüchsen umzugehen.

Doch spätestens der Wiener Walzer ließ etwaiges Ungemach vergessen. Die Atmosphäre tendierte ins Verträumte. Die Damen lagen mit entzückt-seligem Lächeln in den Armen ihrer Partner. Man mußte nur hinschauen, um zu wissen: Hier müssen Gefühle nicht vorgetäuscht werden, hier sind sie noch tief und rein wie die Nordsee.

Auch das Rahmenprogramm war einmal mehr einem sicheren Geschmack entsprungen. Eine Kindergruppe führte eine liebliche Roboternummer auf, bei der, wie es das geräuschvolle Räuspern und Schneuzen im Publikum bewies, auch die sonst zurückhaltenden Herren im Publikum ihre Rührung offen zeigten.

Und alle ahnten: Wieder einmal war es dem Veranstalter gelungen, eine gesellschaftspolitische Message rüberzubringen: Die Spontaneität und Herzenswärme der Kleinen nämlich läßt schon darüber grübeln, wie sehr wir uns allzuoft vom grauen Alltag mitreißen lassen und dabei vergessen, uns am Leben zu erfreuen. Auch der Auftritt der Tanzgruppe CDL — Club der Lebensfrohen — deren 19 Mitglieder ein Gesamtalter von 1483 Jahren erreichen, fand ein dankbares Publikum. Wenn der einzige Herr unter den Damen schelmisch aus der Reihe tanzte, gab es großes Hallo auf den Rängen. Begeistert wurden die Frauschaft plus Herr verabschiedet, deren ungebrochene Vitalität uns als mahnendes Vorbild in Erinnerung bleiben sollte.

Dann endlich wurde das Finale angekündigt, nicht ohne Trostworte für die unglücklich Ausgeschiedenen. Doch der Kummer war zu verschmerzen angesichts der Leistung der Verbliebenen. Denn auf der Tanzfläche bot sich ein wundervolles Bild: da tanzte ein japanisches, limonenfarbenes Kleid mit Federsaum und Schärpe neben einem einheimischen, fresiengelben Pailettenarrangement, das weiße Glitterkleid mit Boa aus England harmonierte aufs Wundervollste mit einem weißrosa Pailettenensemble aus dem Reich der aufgehenden Sonne. Da gab es ein herrlich anzusehendes Nebeneinander einer Glitzerperlen- Kreation mit Herzausschnitt aus Großbritannien und eines von Pelzwolken umschwungenes Traumes in Lachsrosa — natürlich aus Norwegen. Nein, wer den Deutschen Fremdenfeindlichkeit vorwirft, der ist angesichts dieser wallenden und wogenden Harmonie der Nationen Lügen gestraft — die große Tanzfamilie hat für jeden ein Plätzchen frei. Doch auch dieser so vorzüglich gestaltete Abend mußte einmal zu Ende gehen. Der Slowfox mit seiner herrlich-romantischen Melodei machte das Publikum langsam bettfertig. Ein letztes Mal durfte man sich an der allerliebsten Tanzkunst erfreuen und an der virtuosen Spielart des unvergleichlichen Hugo-Strasser-Orchesters...

Die einzigen Wermutstropfen waren die niedrigen Wertungsnoten der ausländischen Richter für das deutsche Paar. Und das, wo man alles so schön organisiert hatte! Aber nein, die beiden englischen Paare machten den Sieg unter sich aus. Schließlich hießen die neuen Profi-Weltmeister so wie die alten: Marcus und Karen Hilton steppten im letzten Tanz erheblich quicker als John Wood und Anne Lewis und verteidigten ihren Titel.

Dritte wurden die lachsroten Norweger Lasse Oedegaard/Laila Krageboel. Die Osnabrücker Geschwister Michael Hull und Patsy Hull- Krogull erdrehten und erwendeten Platz fünf.