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„Wofüa bisse da, Oadna?“

Der Verzicht auf Verteidigung ermöglichte die Fußball-Sternstunde bei Duisburg-Frankfurt 3:6  ■ Vonne Wedau B. Müllender

Das Topspiel des Spieltages 16 war ein mitreißendes, infarktiöses Klassematch, bei dem Duisburgs Fußballwelt gnadenlos auf den Kopf gestellt wurde. Neun Spiele ungeschlagen war die Meidericher Senilen-Formation (Durchschnittsalter fast genau 30) ohne Heimniederlage. Dann setzte es sechs Gegentore in 90 Minuten, zwei mehr als in den sieben bisherigen Heimspielen zusammen, des technischen Zeichners Heribert Macherey im Tor glanzvolle Gegentorstatistik (zweitbeste der Liga) brach arg auseinander. 3:6 — ein wüstes Debakel, so schien es. Aber die Menschen an der Wedau brachten ihren Zebras stehende Ovationen entgegen. Frankfurts Äbbelwoi-Yugo Stepanovic sah „Ergeppnis wie bei dr Eishoggei“, nachdem „90 Minuten alle gebrummt“ hätten, und der emotionale Eisklotz MSV-Coach Kremer ließ sich zur Interpretation von „Feuer und Spielwitz“ hinreißen.

Ein Besuch im Wedau-Stadion heute ist wie eine Reise per Zeitmaschine in die Vergangenheit. Immer noch wird da der 60er-Jahre-Twist eingespielt. Auch der Sprecher hat offenbar einen Job auf Lebenszeit (wie vermutlich die drei 37jährigen Zebragreise Lienen, Woelk, Macherey), ist durch die Tiefen von Zweit- und sogar Oberliga gut hindurchgekommen und bringt mit der gleichen, immer etwas zu hohen Kreischstimme silbenweise immer etwas zu nachdrücklich betont seine antiquierten Satzhülsen aus der Adenauer- Erhard-Ära: Da wird „im Namen unserer Zebra-Elf“ brav-bieder die Zuschauerschaft „zu einem munteren Spielchen“ begrüßt und dazu noch „sportlich fair auch unser heutiger Gegner“. Der hieß Eintracht Frankfurt und war das, was man in Duisburg seit jeher am liebsten sieht: Tabellenführer. Solche Teams, meist die Bayern aus München, wurden früher gleich reihenweise abserviert. Im Wedaustadion fabrizierte Franz Beckenbauer das schönste Eigentor seiner Karriere, Gerd Müller traf statt des Tores immer nur die Eisenfüße des Meidericher Stoppers Detlef Pirsig.

Doch am Freitag abend zeigte sich, daß die Wedau-Magie nur bayernbezogen wirkt und nicht tabellenplatzbezogen. Hochüberlegen begannen die Frankfurter und hätten schon nach acht Minuten locker 3:0 führen können. Uwe Bein spielte Pässe, die kein Lehrbuch erklären könnte, Möller raste im Carl-Lewis-Tempo über den Rasen, der Ghanese Yeboah vereinte Wucht mit erstaunlicher Wendigkeit und schien durch die vereinzelten affigen Grunzlaute von den Tribünen nur noch angestachelt. Dort entzündete sich alsbald eine giftige ethnologische Debatte zwischen den ausländerfeindlichen Schreihälsen und einer Gruppe farbiger MSV-Fans samt lienengeschulter Liberaler. Ohnehin verlangte das wilde Geschehen auf dem Rasen alsbald wieder alle Aufmerksamkeit, insbesondere die drei Gegentore des MSV innerhalb von 13 Minuten. „Oadna“, wurde einer vom Ordnungspersonal ob des anarchistischen Gebahrens der MSV-Verteidiger beschimpft, „wofüa bisse eigentlich da, oadne da mal lieba die Maidericha Abwea.“

Nach der Pause, als der MSV den strammen Südwester im Rücken hatte, wurde aus dem Spiel Hingebung. Die gesamte Eintracht-Hälfte war nur noch ein einziger Zebrastreifen: freier Durchgang Richtung Uli Stein. Kampfesfreude gepaart mit toller Spielkunst der plötzlich juvenal auftrumpfenden Wedau-Senilen, tolle Tore, beste Chancen und Gegentore wechselten sich in solch atemberaubender Rasanz ab, daß die 30.000 noch tobten und klatschten, als es schon wieder neue Anlässe gab.

Am Ende hätte es auch 6:6 oder sogar 8:7 ausgehen können, wenn nur die MSVler die Empfehlungen ihrer Geschäftsstellendame Eleonore Woelker beachtet hätten. Die hatte nämlich selbstgebackenen Schokokuchen mit Namen „Kalte Schnauze“ zum Training vorbeigebracht, damit die Angreifer im gegnerischen Strafraum fürderhin kaltschäuziger zu Werke gehen mögen. Das Gebäck wirkte wenig. Alternativen tun Not: Die taz- Abteilung Wundermittel empfiehlt Eintracht-Trainer Stepanovic statt Zigarillos Baldrian (gegen Nervenleiden bei diesem Abwehrtorso, mit dem auch die filigransten Angriffszauberer kein Meister werden können) und dem MSV gegen allen verständlichen Ärger eine HB zum Blick auf den nächsten Heimgegener: Bayern München. Da geht alles wie von von selbst.

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