: Die FDP-Delegierten proben den Aufstand
Auf dem FDP-Parteitag im thüringischen Suhl wollten die Delegierten nicht immer so, wie es sich die Parteispitze vorgestellt hatte/ Kalte Dusche für Lambsdorff und seinen neuen Generalsekretär Lühr/ Keine neuen Perspektiven für die FDP ■ Aus Suhl Ferdos Forudastan
Otto Graf Lambsdorff ist nichts anzumerken. Gelassen steht er abends in der Presselounge, trinkt langsam sein Bier, plaudert mit den Journalisten über dies und jenes, findet „alles nicht schlimm“, manches habe er sich anders vorgestellt, „aber na ja“. Dabei hatten am Nachmittag die Delegierten des FDP-Parteitages im thüringischen Suhl dem Vorsitzenden der Freidemokraten ein paar deftige Niederlagen beigebracht. Viele stimmten schon an diesem ersten Tag der Versammlung einfach anders, als die parteiinternen Kungler es im Vorfeld des Parteitages untereinander und mit ihnen abgesprochen hatten. Sie stimmten damit gegen den Grafen, seine Gesinnungsfreunde, seine Generation von Liberalen.
War es Zufall? War es Absicht? Wenn es kein Zufall war: War es dann abgesprochen? Oder haben die einzelnen Stimmberechtigten gezielt, aber ohne Absprache so entschieden? Etliche Fragen schwirren durch Suhls Stadthalle und bringen Unruhe in einen Parteitag, der vor wenigen Stunden schläfrig begonnen hat. Die Delegierten haben überraschend einem Antrag der FDP- Spitze die Mehrheit versagt. Er bestimmt, die Satzung so zu ändern, daß dem Vorsitzenden auch künftig fünf Stellvertreter zur Seite stehen. Anläßlich der Vereinigung von Liberalen Ost mit Liberalen West im Jahr zuvor hatte man zwar die Zahl der Stellverteter von drei auf fünf angehoben. Allerdings sollte dies nur für ein Jahr gelten. Teile der Parteiführung um Graf Lambsdorff wollten es nun auch für die Zukunft festschreiben. Daß sie sich damit nicht durchsetzen, bringt ihr ausgeklügeltes Personaltableau durcheinander. Denn zwei der fünf ausgeguckten Stellvertreter haben nun keine Chance mehr. Der Antrag selbst scheint den Nein- Stimmern nicht mißfallen zu haben. Sie stört, „daß die glauben, wir segnen ab, was sie beschlossen“ — so ein Delegierter aus Mecklenburg-Vorpommern. Überhaupt sind es vor allem Ostdeutsche, die gegen Lambsdorff und Seinesgleichen votierten — und weiter votieren.
Lediglich 67 Prozent für Graf Lambsdorff, der sich nur noch zur Wiederwahl bis 1993 gestellt hatte — und beim vorletzten Parteitag noch 85 bekommen hatte. Die Urteile im Saal sind einhellig: „Eine schallende Ohrfeige.“ Unterschiedlich fallen die Versuche aus, das schlechte Ergebnis zu erklären. Einen Vorsitzenden, der das Ende seiner Amtszeit vor der Wiederwahl ankündige, gebe sich zum Abschuß frei, heißt es etwa. Andere Freidemokraten meinen, vor allem das „utopienfreie Verständnis des Grafen von liberaler Politik“ habe vielen „engültig gereicht“. Die meisten freilich machen vor allem den gewaltigen Mitgliederzuwachs aus dem Osten verantwortlich. Für etliche Delegierte aus den neuen Ländern verkörpere Lambsdorff den Teil der Partei, der „soziale Kälte“ abstrahle. Und in der Tat: Für seine farblose Rede zum Auftakt des Parteitages bekommt der Marktgraf von den östlichen Parteitagsteilnehmer höchstens höflichen Beifall.
Wer will Uwe Lühr?
Mit einer „schallenden Ohrfeige“ kommt Uwe Lühr nicht davon. 43 Prozent der Delegierten wollen den von Lamsdorff vorgeschlagenen ehemaligen LDPD-Funktionär aus Halle nicht als künftigen Generalsekretär der FDP. Die meisten von ihnen werden aus dem Westen kommen. Freidemokratische Westpolitiker waren es nämlich auch gewesen, die in den letzten Wochen herumerzählt hatten, warum sie nichts von Lühr halten: Ein klassicher Blockflötist und Wendehals sei er, Ideen habe er keine, vor allem überfordere ihn seine künftige Aufgabe hoffnungslos. Und letzteres bestätigt Lühr nachdrücklich, als er blaß und zitternd am Rednerpult steht. Immer wieder schnappt er nach Luft zwischen den vielen Sätzen, die klingen, wie mühsam auswendig gelernt. „An einer Partei mit Profil muß man sich reiben“, „liberale Werte müssen erkämpft werden“.
Auch bei den übrigen Wahlen — zu Präsidium und Vorstand — folgen die Delegierten nicht so, wie es die Parteiführung gewollt hat und wie sie es seit vielen Jahren gewöhnt ist. Mehr Junge als erwartet kommen in die Gremien, mehr Frauen und überhaupt auch einige ganz andere. Sowieso, sagen langjährige Teilnehmer und Beobachter, ist die Stimmung in Suhl ähnlich wie bei freidemokratischen Versammlungen der frühen Siebziger: unruhiger, weniger berechenbar. Begriffe für all dies sind schnell gestanzt: Parteitag des Übergangs, des Wandels. Eingängig zwar, aber was heißt das alles? Übergang wozu und in was wandelt sich das alles um? Darauf gibt dieses Wochenende in Suhl keine Antwort. Weder, als die möglichen Nachfolger Lambsdorffs sich vorsichtig profilieren. Noch in den wenigen Debatten über künftige liberale Programmatik. Und schon gar nicht, wenn es um die Vergangenheit der FDP-Ost als Blockpartei geht.
Wer kommt nach Lambsdorff?
Irmgard Schwaetzer, die für den sozialliberalen Flügel der Partei steht, wird zwar mit einem blendenden Wahlergebnis als eine der stellvertretenden Parteivorsitzenden bestätigt. Für ihre Reden, in denen für liberale Verhältnisse auffallend oft Wörter wie Schutz und Schwache und sozial vorkommen, erhält sie viel Beifall. Dennoch zeigt auch Suhl, daß sie das Rennen noch lange nicht gemacht hat. Ihre Konkurrenten kommen nicht schlechter weg als sie. Nur Hans-Dietrich Genscher wird zu Beginn des Parteitages mit mehr Beifall begrüßt als Klaus Kinkel. Bei einem Presseempfang umringen den Justizminister mehr Journalisten als andere liberale Spitzenpolitiker. Freilich, mit seinem großen Thema, dem libralen Rechtsstaat, ist die östliche FDP bis auf weiteres nicht einzunehmen. Das weiß auch der Dritte im Bund der möglichen Nachfolger Lambsdorffs: Jürgen Möllemann. Und so präsentiert sich der Wirtschaftsminister in Suhl ausschließlich als Wirtschaftspolitiker — freilich als ein etwas weniger marktwirtschaftlicher als bisher.
„Das ist ein Sammelsurium altbekannter liberaler Positionen. Die brauchen wir nicht zu beschließen. Was wir brauchen, sind neue Perspektiven.“ Nur wenige klatschen, als Birgid Homburger diese Sätze in den großen Saal der Suhler Stadthalle ruft. Dabei mäkeln auf den Gängen viele Delegierte des Parteitages an dem herum, was die Vorsitzende der Jungen Liberalen so heftig kritisiert: Den Leitantrag „Soziale Chancen durch liberale Marktwirtschaft“ des Parteivorstandes — ein Papier, in dem sozialpolitische Perspektiven fast nicht vorkommen. Die Debatte hierüber fällt dennoch sehr zaghaft aus. Bei der Abstimmung heben sich fast alle Hände für den Antrag. „Noch fehlt vor allem den ostdeutschen Parteifreunden das Selbstbewußtsein, der Mumm“, sagt dazu ein sozialliberal gesonnener Freidemokrat-West. Doch auch die jüngeren Liberalen aus den alten Ländern streiten nicht für mehr Diskussionen über „ihre“ Anliegen: Einwanderungspolitik, Frauenpolitik, Verhältnis zur dritten Welt...
Ein Raunen geht am Samstag durch die Reihen, als statt Bruno Menzel Joachim Günter auf einen der nachgeordneten Plätze im Parteipräsidium gewählt worden ist. Zwar sind beide Ostliberale. Doch ist Günter ehemaliger Funktionär der LDPD, während Menzel als „unbelastet“ gilt, weil er erst nach der Wende die ostdeutsche FDP mitgegründet hat. Am Abend zuvor, bei der wichtigen Wahl um einen stellvertretenden Vorsitz der Partei, hatte Menzel schon einmal gegen einen alten Ost-Liberalen, gegen Bildungsminister Ortleb, verloren. Das treibt Hildegard Hamm-Brücher auf den Plan: „Leute, die im Solde der SED standen, werden auf den Schild gehoben. Die Unbelasteten fallen hinten runter.“ Einen, der in den letzten Wochen mit ähnlichen Worten um sich geworfen hatte, strafen die Delegierten: Der schleswig-holsteinische Landesvorsitzende Kubicki schafft nicht mehr den Sprung in den Vorstand. Der Streit um die Vergangenheit der FDP-Ost wird dennoch weitergehen. „Denn seit diesem Wochenende“, sagt Irmgard Schwaetzer, „hat sich bei uns die Lage normalisiert. Das Wochenende hat überhaupt erst einmal die Debatte in der Partei eröffnet.“
Am Ende mag auch Hans-Dietrich Genscher nicht mehr als konstatieren. Dies sei ein „Parteitag der Delegierten“ gewesen, ruft er diesen in seiner Abschlußrede zu. „Unabhängige Delegierte sind eine gute Sache.“ Und: „Auf viele Fragen haben wir keine Antwort gefunden. Aber wichtig ist es, die Fragen zu stellen.“
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