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Ad hoc nach Plan

■ Das diesjährige Total Music Meeting

Ob sie nicht zur Verfügung gestanden haben, die Klaus Koch, »Luten« Petrowsky oder Günter »Baby« Sommer — wegen anderweitiger Verpflichtungen?

Das Total Music Meeting startete dieses Jahr jedenfalls erstmalig in Berlin-Mitte im Haus der Jungen Talente ohne die Mitwirkung der ostdeutschen Free-Jazz-Szene. Obwohl es ebensogut ins Quartier gepaßt hätte, auf das Veranstalter Jost Gebers zuerst spekuliert hatte.

Die westeuropäisch-amerikanische Begegnung also verlief, ganz anders als man es den Music-Chaoten immer unterstellt, konzeptionell durchdacht. Acht Auftritte konnte man jeden der drei Abende sehen und hören, mit vorher festgelegten Musiker-Konstellationen, deren Namen ordentlich in einem ausgehängten Halbstundenplan verzeichnet waren. Zum Ein- und Ausklang musizierten die neun Musiker gemeinsam auf der Bühne: die drei Bassisten, Schlagzeuger und Saxophonisten, zwischendurch agierte auch mal nur ein einzelner.

Beispiellos war das Solo des Engländers Evan Parker, der eine geschlagene halbe Stunde zirkular atmete und blies, und seinem Sopran- Saxophon — ohne abzusetzen — einen durchgängigen Dudelsack-ähnlichen Klang entlockte. Mit ständig leicht variierten Wiederholungen schlug er das gut besuchte Auditorium in seinen Bann und trug es virtuos auf diesem ununterbrochenen Fluß der Töne davon. Ein herzlicher Beifall dankte es ihm.

Dieser hielt auch noch an, als Tony Oxley sich an sein liebevoll selbstgefertigtes Schlagzeug mit der überdimensionalen Go-Go Bell gesetzt hatte, und hörte erst auf, als Peter Brötzmann gewohnt feurig zum Aufbruch blies. Fred Hopkins, der Bassist des legendären Trios »Air«, stimmte einen flinken Lauf an, und der Engländer wirbelte die Stöcke, die in einem Schlag auf weichem Blech gipfelten, der den gemeinsamen Rhythmus quasi einforderte. Doch schnell verebbte der Donner, als Brötzmann aus seinen »Liebesgedichten« zitierte, Hopkins anfing, einen betörenden Blues zu zupfen, und Oxley sein perkussives Klanguniversum behutsam ausbreitete.

Einer Stunde der Offenbarung folgte dann nur allzuschnell eine halbe Stunde der qualvollen Mißverständnisse und der ermüdenden Indifferenzen. Diesmal zu fünft in der Instrumentierung von zwei Saxophonen (Charles Gayle/Evan Parker), zwei Bässen (William Parker/ Peter Kowald) sowie Schlagzeug (Rashid Ali).

Beim nachfolgenden Bass-Trio war die Balance auch nicht gerade einfach herzustellen. Während William Parker, der legendäre Bassist Cecil Taylors, und Peter Kowald scheinbar selbstvergessen nur die Intensität koordinierten, setzte Fred Hopkins die Akzente und suchte dem Spiel eine Struktur zu geben. Das brummige Palaver der tiefen Frequenzen entwickelte sich zu einem spannungsreichen Gespräch der so unterschiedlichen Musiker mit den gleichen Instrumenten.

Die nächste halbe Stunde war dem Solo des Schlagzeugers Rashid Ali vorbehalten, der von John Coltrane in einer letzten freien Schaffensperiode bevorzugt engagiert wurde.

Doch ander, als von Teilen des Publikums und auch von Jost Gebers erwartet, »pulsierte« er nicht ohne Punkt und Komma, sondern begann mit einfachen Rhythmen, die alsbald in komplexen Strukturen einmündeten: eine regelrechte Unterrichtseinheit in modernem Schlagzeugspiel für Fortgeschrittene. Sicher hatte dieser Vortrag etwas deplaziert Belehrendes, eine mesiterhafte handwerkliche Demonstration war es allemal. Zum Schluß kehrte Ali wieder zu einem einfachen Beat zurück, der nahtlos von Andrew Cyrille, dem Trommler der nächsten Formation, übernommen wurde. Cyrille »pulsierte« in der typischen melodisch- tonalen Weise. Zweifellos ist er einer der bedeutendsten Schlagzeuger des modernen freien Spiels.

Alles in allem war es ein gelungenes Meeting der Ad-hoc-Musiker, deren Durchschnittsalter und Versiertheit jedoch diametral dem Namen des Veranstaltungsorts entgegenstanden. Peter Thomé

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