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Der Zeigefinger der Bewegung

Dritte Deutsche Carambole-Meisterschaft in Freiburg: Eine Art Fingerbilliard erobert die schnippische Szene/ Bewährt bestes Dopingmittel: Dope!  ■ Von Claus Weissbarth

Anfang der achtziger Jahre brach in der Schweiz ein Fieber aus. Bald schon hatte sich der Virus auch in anderen europäischen Ländern breit gemacht. Er kam aus Asien, eingeschleppt durch einen unvorsichtigen und spielhungrigen Eidgenossen namens Mändu Stauffer. Auf einem seiner zahlreichen Asien-Trips hatte er sich unheilbar infiziert. Angesteckt wurde er von dem asiatischen Brettspiel Carrom, das von Stauffer schnell in eine schweizerische Variante mutiert wurde. Um seinen Landsleuten die Ansteckung zu erleichtern, lockerte der Süchtige das strenge Regelwerk und kreierte damit ein neues, kleineres Spielbrett: Das Brettspiel Carambole war geboren.

Die Carambole-Grundidee ähnelt der des Billardspiels. Als Spielfläche dient ein 60 mal 60 Zentimeter großes Ahorn-Holzbrett, an dessen Eckpunkten sich vier Löcher befinden. Im Spiel sind jeweils neun weiße und schwarze Steine, sowie ein roter, besonders kostbarer: Er bringt in der Endabrechnung fünf Extrapunkte ein. Das Ziel des Spiels ist, mit einem Stein, auch Puck genannt, die entsprechenden Steine anzuspielen und in den Löchern zu versenken. Der Puck wird dabei mit dem Finger geschnippt, deshalb heißt Carambole im nicht-fremdsprachigen Volksmund schlich „Fingerbilliard“. Zum unerläßlichen Spielmaterial gehört ferner ein Streuer mit Kartoffelmehlstärke, das als Gleitmittel für die Steine dient.

Aus der Schweiz heraus bewegte sich der Virus nach Freiburg, der ersten deutschen Stadt, wo Carambole gespielt wurde. Vom südwestlichsten Zipfel der Republik hat sich das Spiel bis nach Bayern und sogar nach Nordrhein-Westfalen ausgebreitet. Und wo es Spieler gibt, ist ein Verein nicht weit. Und wo es Vereine gibt, sind Meisterschaften vorprogrammiert. So wurde 1987 der Carambole Club Deutschlands ins Leben gerufen, um nationale Titelehren wird seit zwei Jahren geschnippt. Am vergangenen Wochenende kehrte Carambole nun an seinen deutschen Ursprungsort zurück, als in einer Einkaufspassage in der Freiburger Innenstadt die dritte deutsche Meisterschaft ausgetragen wurde.

Warum von den Veranstaltern ausgerechnet dieser heimelige Ort — und dazu noch an einem langen Samstag — gewählt wurde, liegt auf der Hand: Eine breite Öffentlichkeit sollte mit Carambole infiziert werden. Zudem kam die frische Zugluft in der Passage den meisten Spielern entgegen: „Sonsten spielen wir zumeist in Nebenzimmern von Kneipen. Da steht dann der Qualm in der Luft“, erklärt Richard Stibal, der erste Vorsitzende des Carambole Clubs Freiburg. In der Schweiz, auch davon weiß Stibal zu berichten, „ist es in den meisten Fällen nicht nur der Qualm von Zigaretten, der so manchem Spieler zu schaffen macht.“ Womit auch geklärt wäre, in welchen Schweizer Szenekneipen Carambole mit besonderer Vorliebe gespielt wird.

Nichtsdestotrotz sind die SpielerInnen aus dem Alpenland bei internationalen Turnieren fast unschlagbar. Das Erfolgsgeheimnis der Eidgenossen hat Richard Stibal indes längst erkannt: „Je mehr die kiffen, desto besser spielen sie auch.“ Doch die anderen Länder, in denen Carambole gespielt wird, holen langsam, aber sicher auf. Belgier, Franzosen, Engländer und Deutsche nähern sich nach und nach dem hohen Niveau der Schweizer. „Anfangs waren wir nur Füllsel, heute kann sich der eine oder andere Nicht-Schweizer bei Turnieren schon einmal im vorderen Mittelfeld plazieren“, präzisiert Stibal die Entwicklung der letzten Jahre. Daß die deutschen Caramboler schon einiges dazugelernt haben, bewiesen sie am letzten Samstag mit teilweise hervor-schnippenden Leistungen. Die Favoriten kamen traditionsgemäß aus Freiburg, München und dem Großraum Stuttgart. Dort befindet sich mit dem Backnanger Carambole Club „Panik im Quadrat“ eine wahre Schnipper-Hochburg. Nach über zehnstündigen Auseinandersetzungen hatten sich mit dem Gmünder Norbert Schenk und dem Backnanger Christian Dreifert zwei der Arrivierten für das Finale qualifiziert.

Hier zeigte sich dann, daß der Name „Panik im Quadrat“ durchaus eine Berechtigung besitzt. Dreifert bekam seinen Zeigefinger während der gesamten Begegnung nicht unter Kontrolle und schien in Anbetracht der vielen Zuschauer tatsächlich etwas panisch. Nachdem er gleich reihenweise leichteste Schüsse versiebt hatte, nutzt Schenk seinen dritten Matchball und gewann deutlich mit 21 zu zwei Punkten. Vielleicht sollte sich Christian Dreifert zur Nervenberuhigung beim nächsten Mal ein Beispiel an den Schweizern nehmen. Womöglich klappt es ja dann mit dem Deutschen Meistertitel.

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