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OuLiPo: Berechnete Literatur

■ Eine Veranstaltung des Literaturhauses in der Fasanenstraße

Die Ausdrucksfähigkeit der Sprache ist bekanntlich beschränkt, die mathematischen Möglichkeiten der Aneinanderreihung von Worten und Sätzen sind unendlich.

In der Werkstatt für potentielle Literatur (Ouvroir de la Littérature potentielle), kurz OuLiPo, hat sich ein Kreis von Schriftstellern, Mathematikern, Historikern und Schachtheoretikern zur Aufgabe gemacht, mathematische Regeln als Grundlage des Schreibens zu erfinden und ihre Literaturproduktion diesen berechneten Strukturen unterzuordnen. Literatur, das schließt Kreuzworträtsel ebenso ein wie Gedichte und Hörspiele, Romane und Theaterstücke ebenso wie Kochbücher.

Vom 6. bis 9. November tagen die Oulipisten in Berlin, und bei der Gelegenheit kann sich auch die interessierte Öffentlichkeit an ihren ausgetüftelten Werken delektieren.

»Man schreibt nicht, um die Bevölkerung zu verärgern«, erklärte nicht ohne Ironie der Oulipist Raymond Queneau, hierzulande (leider) hauptsächlich als Autor von Zaire in der Métro bekannt. Queneau war es, der gemeinsam mit dem Schachtheoretiker Le Lionnais 1960 OuLiPo ins Leben rief. Später kamen unter anderem Italo Calvino und Georges Perec dazu. Von Perec zum Beispiel stammt folgendes Exempel einer oulipistischen Textanalyse aus dem Hörspiel Die Maschine: Man nehme ein Gedicht. Nun ersetze man jedes Hauptwort durch ein anderes, das im Lexikon an der n-ten Stelle nach dem ursprünglichen Wort steht. Der Anfang von Wanderers Nachtlied (»über allen Gipfeln ist Ruh...) des Herrn Goethe heißt dann, nach einem deutsch-spanischen Wörterbuch, wenn gilt n= 15: »über allen Glasuren ist Ruß...«

Sprachspiele haben eine lange bis in die Antike zurückgehende Tradition, die die Oulipisten bewußt pflegen; mit Palindromen, jenen Sätzen, die vor- und rückwärts gelesen denselben Text ergeben, haben wir uns schon als Kinder amüsiert (»ein Neger mit Gazelle zagt im Regen nie«). Perec hält mit einem sechs Seiten langen Palindrom den absoluten Rekord auf diesem Gebiet. Aber die OuLiPo- Produkte sind keineswegs sprachlicher Nonsens, sondern amüsanter und gescheiter Lesestoff. Jacques Roubauds Romane von der Schönen Hortense, oder Harry Mathews' Onanistengeschichten (Die Lust an sich) liefern dafür den schlagenden Beweis.

Beide Autoren werden übrigens auch in den kommenden Tagen im Literaturhaus anwesend sein. Dabei sein wird auch Marcel Bénabou, Urheber des Programms für Automatische Produktion Französischer Literatur (P.A.L.F.), das im Widerspruch zum »automatischen Schreiben« der Surrealisten (und der literarischen Selbst[er]fahrung von heute): vom Unterbewußtsein direkt und unkontrolliert aufs Papier. Die »P.A.L.F.«-Formel dagegen lautet kurz und knapp: mpx W= L. Wobei mp für Rohstoff und W für Arbeit steht (und wer jetzt noch nicht weiß, was L. bedeutet, sollte die nächsten Tage auch nicht ins L.haus gehen). Katharina Döbler

OuLiPo — Die Werkstatt der potentiellen Literatur. Heute um 20 Uhr, Maison de France: OuLiPo- Porouge , Literarisches Kabarett, gesprochene und gesungene oulipistische Texte. Do., Fr. und Sa. jeweils 20 Uhr. Veranstaltungen im Literaturhaus, Fasanenstraße 23

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