: Ein Platz als Drehbühne für absurdes Theater
■ Die SED ließ 1971 den größten Alexanderplatz aller Zeiten fertigstellen/ Hier trafen sich Revolutionäre und Marktschreier
Alexanderplatz. Städtische Plätze sind Bühnen für alle. Jeder, der etwas auf sich hält, demonstriert sich hier. Die Machthaber suchen genauso wie die Oppositionellen, den Platz zu besetzen, die Marktschreier und die Ausgeflippten haben hier ihre gebuchten Auftritte. Solche Bühnen sind immer ein Gradmesser für den Stand des allgemeinen Wahnsinns, und es ist ein Wunder, daß die Platzologie noch nicht erfunden wurde.
Der Alex ist eine Bühne seit Hunderten von Jahren und gar eine Drehbühne seit seinem Ausbau Anfang der siebziger Jahre. Die sieht man aber erst so richtig, wenn man sich selber dreht: im Café im Fernsehturm, das um die eigene Achse rotiert und die Aussicht auf den häßlich zubetonierten Alex zu einem schönen Blick macht. Denn von dort oben entrollt er sich förmlich. Konzentrische Ringe in verschieden getönten Pflastermustern gehen von seiner imaginären Mitte aus, auf der von 1894 bis zu einer finsteren Kriegs- und Diebesnacht 1944 die kupferfarbene Berolina ihre sechseinhalb Meter Größe zeigte. Heute steht an dieser Stelle der »Brunnen der Völkerfreundschaft«. Etwas heruntergekommen sieht das Brünnlein aus, trotz der bunten Umfassung, vielleicht weil es seiner Bauherrin SED und dem von ihr verwalteten Volk jetzt nicht mehr vormachen muß, daß Milch und Honig aus ihm flösse. Auf seinen Bänken und drumherum hatten früher Spitzel und seltene Exemplare der DDR-Opposition ihren Auftritt, später, nach der Wende und Währungsunion, boten hier Schmuggler und Schwarztauscher ihre Ware an.
Die Pflasterringe werden von einem Gebäudering umschlossen, den die Partei der Werktätigen bei der Versechsfachung der Fläche zum »größten Alexanderplatz aller Zeiten« hochziehen ließ. Seit Abschluß der Arbeiten 1973 schnellten hier der Fernsehturm, das »Hotel Stadt Berlin« und weitere Plattenbauwerke in graue, dreckrote und fiesweiße Höhen. Aus den zwanziger Jahren erhalten blieben nur das Alexander- und das Berolina-Hochhaus. Doch was als imposantes Bühnenbild für das auf eine ewige Spielzeit angelegte Stück »Triumph des Sozialismus« gedacht war, wird heute von den Trümpfen des Kapitalismus ins Groteske verzerrt. Wer beim Brunnen einmal um die eigene Achse wirbelt, sieht auf allen Dächern die Leuchtzeichen der Zeit: Sparkasse — Kaufhof — Denon — Sanyo — Philishave. Philishave: Der Bart der sozialistischen Gründungsväter ist ab, die alten Zöpfe mußten weg, nun entsteigen neue Wölfe dem Schafspelz des Volkes. Wolle übrigens ist hier auch schon verkauft worden, als der Alex um 1680 noch Ochsenmarkt hieß, doch sehr schnell, ab 1758 bis heute, mußte er als Aufmarschbühne für die jeweiligen Machthaber herhalten. Damals wurde er zum Exerzierplatz für die Heere der Preußenmonarchie, die ihn zu Ehren des russischen Zaren Alexander I. während dessen Berlin-Besuchs im Jahre 1805 umbenennen ließ. Ihr Militär brachte mit seinen Schüssen auch auf dem Alexanderplatz die Märzrevolution des Jahres 1848 zum Scheitern, obwohl die dort aufgestellte Barrikade nach einem zeitgenössischen Zeitungsbericht »vielleicht die stärkste in der ganzen Stadt war.«
Ein Symbol der Macht war auch das Polizeipräsidium, das seit 1890 wie eine Zwingburg den Alex beherrschte. Von dort aus rückten Polizeiverbände am 1. Mai 1929 auf Arbeiter vor, die sich trotz Demonstrationsverbotes hier und anderswo versammelt hatten: 31 von ihnen wurden erschossen und 1.200 verhaftet. Und von dort aus erging kurz nach dem Reichstagsbrand Anfang 1933 der Haftbefehl gegen prominente KPD- und SPD-Angehörige. KPD- Chef Ernst Thälmann wurde in die Zelle 32 gebracht, in dem, wie ein anderer Zeuge berichtete, »des Nachts von den Korridoren und vom Hofe her stundenlanges entsetzliches Schimpfen, Knüppelschläge, herzzerreißende Schreie« zu hören waren. In den letzten Tagen der Naziherrschaft stürmte die sowjetische Armee am 29. April 1945 das polizeiliche Hauptquartier. Doch da war der Alexanderplatz nur noch eine Trümmerwüste. 28 Jahre vergingen, bis ihn die SED wieder zum Triumphgebiet für ihre Jugendweltfestspiele, DDR-Geburtstagsparaden und Volksfeste restauriert hatte. Tausende glücklicher Jungs traten in Blauhemden auf, doch schon damals wurde ab und an heimlich ein Hakenkreuz von den Wänden gewischt.
Und heute? Bleiben die Hakenkreuze stehen. Skinheads und türkische Jugendbanden streiten sich darum, wer die Oberhoheit über den Platz gewinnt, Hütchenspieler jagen Touristen ins Bockshorn, und am versiegten Brunnen der Völkerfreundschaft treffen sich verheulte Liebespaare. Ute Scheub
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