: Darf ein erigierter Penis ins Magdeburger Parlament?
Eine Kunstausstellung erregt die sittlichen Gefühle von Sachsen-Anhalts Landtagspräsident Klaus Keitel ■ Von Eberhard Löblich
Magdeburg (taz) — Gerade mal zwei Tage lang konnte sich der Bernburger Maler und Bildhauer Ulrich Tarlatt über die Ausstellung seiner Werke in den Fluren des Magdeburger Landtags freuen. Dann fing die Ausstellung an, sich auf geheimnisvolle Weise zu reduzieren. Zuerst waren zwei Skulpturen weg, die ihre erigierte Männlichkeit wohl allzu forsch in den Landtagsflur hinausreckten, dann alle anderen Standbilder, schließlich auch die Grafiken und Gemälde. „Es gab einige Leute, die an den aufgerichteten Penissen Anstoß genommen haben“, erfuhr der Abgeordnete Lutz Kühn (SPD) auf seine Anfrage vom zuständigen Abteilungsleiter der Landtagsverwaltung Rolf- Peter Mewes.
Erst als Kühn in öffentlicher Landtagsdebatte den Bildersturm unter Beifall von Abgeordneten aller Fraktionen beklagte, war die Tarlatt-Ausstellung über Nacht plötzlich wieder da. Unvollständig allerdings. Die beiden umstrittenen Figuren Geiler deutscher Adler und Lüstling, die die ja gerade bei Politikern so eng gezogenen Grenzen von Anstand, Sitte und Moral auf so eklatante Weise verletzt hatten, blieben verschwunden.
Tarlatt eilte an den Ort des Geschehens, aber Landtagspräsident Klaus Keitel (CDU) blieb standhaft. Erst als Tarlatt ihm die Pistole auf die Brust setzte und drohte, die ganze Ausstellung mit einem mittleren Skandal vorzeitig abzubauen, gab Keitel nach. „Sichtlich schweren Herzens“, so berichtet Tarlatt von dem Vier-Augen- Gespräch, gab der Landtagspräsident seiner Verwaltung die Anweisung, auch die beiden so anstößigen Holzfiguren wieder aufzustellen. Aber nur unter einer Bedingung: Tarlatt, so verlangte Keitel, müsse sich den Landtagsfraktionen und -mitarbeitern einen Tag lang zur Verfügung stellen — zwecks Interpretationshilfe. Offenbar ist der Landtagspräsident der Meinung, daß Abgeordnete, normalerweise an Bürokratendeutsch und Fraktionszwang gewöhnt, hoffnungslos überfordert sind, wenn sie sich zu moderner Kunst ihre eigene Meinung bilden sollen. Aber die Veranstaltung, fast zwei Wochen nach Beginn der Ausstellung als deren offizielle Eröffnung getarnt, stieß nicht auf das Interesse, das Keitel bei seinen Abgeordneten erwartete. „Mit mir waren wir gerade drei Abgeordnete, dazu noch einige schockierte Frauen aus der Landtagsverwaltung“, sagte Kühn hinterher.
Für Ulrich Tarlatt ist die ganze Angelegenheit auch eine Erinnerung an unliebsame Zeiten. Der Maler und Bildhauer, durch zahlreiche internationale Ausstellungen ausgewiesen, lag mit der Kulturbürokratie der ehemaligen DDR stets über Kreuz. Weil er sich nicht anpassen wollte, wurde er zeitweilig auch aus dem Verband Bildender Künstler der DDR ausgeschlossen. „Und nun werden meine Sachen schon wieder zensiert“, wundert sich Tarlatt. „Dabei dachte ich, daß soll es in einem demokratischen Land nicht mehr geben.“ So steht es jedenfalls im Entwurf einer Verfassung für das Land Sachsen-Anhalt. Aber die ist ja noch nicht verabschiedet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen