Notbremse im letzten WAA-Prozeß

Das Verfahren gegen eine WAA-Gegnerin mußte vor dem Schwandorfer Schöffengericht eingestellt werden/ Die Anklage wegen besonders schwerem Landfriedensbruchs brach in sich zusammen  ■ Aus Schwandorf Bernd Siegler

„Was haben Sie am 19. Mai 1986 zwischen 12.00 und 12.30 Uhr gemacht?“ Der Polizeibeamte Gschwind aus Straubing denkt kurz nach, dann ist alles klar: „Normalerweise ist da Mittagessen.“ Kurz nach dieser erhellenden Aussage fällt einer der beiden Schöffen des Schwandorfer Amtsgerichts in Tiefschlaf, die Verhandlung muß abgebrochen und an einem erneuten Termin teilweise wiederholt werden. So ist das Ende des vorläufig letzten Prozesses gegen GegnerInnen der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf nicht weiter verwunderlich: Die Anklage bricht in sich zusammen, das Verfahren gegen die 31jährige Isa G. wird gegen eine Geldauflage von 800 DM eingestellt, die Kosten trägt der Staat.

Die ganze Mühe der Staatsanwaltschaft war damit umsonst. Dabei hatte man schwere Geschütze gegen die Entwicklungshelferin aufgefahren, z.B. Videoaufnahmen in Paßfoto-Qualität von den Auseinandersetzungen am WAA-Bauzaun Pfingsten 1986. Fieberhaft bemühten sich in der Folge Polizei und Justiz, mit akribischer Auswertung der Videoaufnahmen Steinewerfer ausfindig zu machen und abzuurteilen. Die tatsächlichen Urteile standen jedoch bislang zu diesem Aufwand in keinem Verhältnis. Von insgesamt 3.326 Ermittlungsverfahren gegen WAA-GegnerInnen mußte die Staatsanwaltschaft 2.328 einstellen. Nur in 742 Fällen kam es zu Verhandlungen. Von den 544 Verurteilungen waren rund 90 Prozent Geldstrafen. Doch die Amberger Staatsanwaltschaft steckte nie auf. Deshalb landete fünf Jahre nach den Ereignissen und zweieinhalb Jahre nach dem endgültigen Aus der WAA Isa G. doch noch auf der Anklagebank.

G. soll am Pfingstmontag 1986 Steine geworfen und dabei den Außenspiegel eines Wasserwerfers (Sachschaden 30 DM) zertrümmert haben. Bei einer weiteren Demonstration am 7.6.86 soll sie beim Steine-Aufsammeln beobachtet worden sein und sich der Festnahme widersetzt haben. Landfriedensbruch in einem besonders schweren Fall, versuchte gefährliche Körperverletzung, Sachbeschädigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte führt die Anklageschrift auf. Die Amberger Staatsanwaltschaft war der Meinung, daß in diesem Fall der Strafrahmen eines Schöffengerichts (drei Jahre) nicht mehr ausreiche, und erhob Anklage vor dem Landgericht. Doch das Landgericht konnte keinen derart hohen Unrechtsgehalt entdecken und verwies das Verfahren zurück an das Schwandorfer Schöffengericht. Dort setzte die Staatsanwaltschaft alle ihre Hoffnungen auf zwei Polizeivideos, 17 Polizeizeugen und insbesondere auf ein bei der Angeklagten beschlagnahmtes Tagebuch.

Da aber die höchstrichterliche Rechtsprechung solche persönlichen Aufzeichnungen nur bei Kapitalverbrechen wie Mord als Beweismittel zuläßt, war der Anfang vom Ende der Anklage schon vorgezeichnet. Erschwerend kam hinzu, daß sich die Polizeizeugen in Widersprüche verstrickten, sich kaum noch erinnern konnten und ihnen auch damals am Bauzaun als „besonders markantes Erscheinungsbild“ der Angeklagten lediglich „helle Hose, dunkle Jacke, heller Schal und Turnschuhe mit Streifen“ aufgefallen waren. Auch der Vorwurf des besonders schweren Landfriedensbruchs löste sich in nichts auf, da die Person, die die Polizeizeugen als die Angeklagte erkannt haben wollen, auf den Videos deutlich ersichtlich als Einzelperson am Bauzaun agiert und nicht aus einer geschlossenen Gruppe heraus. Richterin Schmidt, die ihre Karriere besonders harten Urteilen in WAA- Prozessen zu verdanken hat, zog nach drei Verhandlungstagen schließlich die Notbremse und überzeugte den Staatsanwalt, daß eine Einstellung des Verfahrens auch für die Anklagebehörde das beste Mittel sei, zumindest noch einigermaßen das Gesicht zu wahren.