: DDR-Spione sollen hinter Gitter
■ Staatsanwaltschaft plädiert im Schütt-Prozeß auf langjährige Haftstrafen gegen MfS-Spione
Berlin (taz) — In Bayern gehen die Uhren anders: In Berlin hat die Justiz die Frage, ob die mit der Auslandsspionage beschäftigten Mitarbeiter des früheren Staatssicherheistdienstes der DDR strafrechtlich überhaupt verfolgt werden können, dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt — in München ließ das Bayerische Oberste Landesgericht die Staatsanwaltschaft gestern im laufenden Verfahren bereits ihre Plädoyers halten.
Obwohl das Verfassungsgericht noch nicht entschieden hat, forderten die Karlsruher Bundesanwälte im ersten Prozeß gegen zwei ehemalige Mitarbeiter der „Hauptverwaltung Aufklärung“ und deren beide westdeutsche Zuträger wegen Landesverrates im besonders schweren Fall Haftstrafen zwischen zehn Jahren und neun Monaten sowie einem Jahr und sechs Monaten.
Der ehemaligen Stasi-General Harry Schütt (60) soll für zwei Jahre und neun Monate in den Knast gehen. Sein Untergebener, Oberstleutnant Günther Böttger, soll nach dem Willen der Bundesanwälte 18 Monate auf Bewährung erhalten. Am schwersten wertete die Bundesanwaltschaft am Ende des 39. Verhandlungstages und nach über fünfmonatiger Prozeßdauer den Verrat des ehemaligen Pullacher BND-Mitarbeiters Alfred Spuhler. Er soll zu neun Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt werden. Sein Bruder Ludwig, der von der Stasi als Kurier geworben wurde, soll sechseinhalb Jahre hinter Gitter.
Die Bundesanwaltschaft wirft den Spuhlers vor, als „Quelle Peter“ dem ehemaligen Staatssicherheitsdienst zwischen 1972 und Ende 1988 reichlich Material geliefert zu haben, mit dem sie den BND „durchsichtig“ und durch den Verrat von Quellen „blind gemacht“ hätten. Mit 430.000 Mark sollen sie dafür auch „großzügig“ entlohnt worden sein.
Der Materialaustausch, so die Bundesanwaltschaft, sei zunächst über „tote“, später über „rollende Briefkästen“ erfolgt. Im Abstand von weniger als zwei Monaten sollen beide beträchtliche Menge (jeweils bis zu 400 Blatt Akten) an die Stasi übergeben haben — Stasi-General Schütt habe sogar darum gebeten, „durch Selektieren den Materialfluß einzudämmen“. Durch den 50jährige Alfred Spuhler sollen über 300 „menschliche Quellen“ aufgeflogen sein. Harry Schütt wirft die Bundesanwaltschaft vor, in zwei besonders wichtigen Abteilungen der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) gearbeitet und der Bundesrepublik erheblichen Schaden zugefügt zu haben. Er habe „mit der Quelle Peter Karriere gemacht“. Ohne Zweifel glaubt die Bundesanwaltschaft auch, daß die von Spuhler besorgten „BND- Lageberichte Ost“ an den sowjetischen Geheimdienst KGB weitergegeben wurden. Am Donnerstag werden voraussichtlich die Verteidiger ihre Plädoyers halten.
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