piwik no script img

Wird die studentische Emanzipation einfach weggewischt?

■ An der Humboldt-Universität soll der bisherige Studentenrat aufgelöst werden und wie im Westen ein Asta gebildet werden/ Widerstand formiert sich/ Urabstimmung soll Klärung bringen, ob die demokratische Errungenschaft der DDR-Revolution weiterhin von den StudentInnen getragen wird

Mitte. Asta — Qu'est-ce que c'est?« heißt eine Überschrift im »erstsemestlerInnen-info«. Die Frage — so die deutsche Übersetzung —, wer und was er überhaupt sei, muß der Allgemeine Studenten-Ausschuß jedes Semester den FU-StudentInnen erklären: die gesetzlich garantierte Form studentischer Selbstorganisation und Interessenvertretung. An der Humboldt-Universität sieht man ebenfalls diesen Erklärungsnotstand kommen.

Dort kümmert sich zwar seit dem Herbst 89 ein StudentInnenrat um die studentischen Belange. Aber in der Ergänzung des Berliner Hochschulgesetzes ist diese basisdemokratisch organisierte Form der Studentenvertretung nicht erwähnt. Auch dort sind also Studentenparlament und Asta zu wählen. An der Humboldt- Universität formt sich dagegen Widerstand.

Der StudentInnenrat darf als Ergebnis studentischer Emanzipation »nicht einfach weggewischt werden«, verlangt Sprecher Michael Waschke. In der Sondernummer der HUB-Studentenzeitung 'UnAufgefordert‘ heißt es, der Studentenrat sei durch eine Urabstimmung legitimiert worden. Demnach »obliegt es auch unserer Kompetenz, über die Form zu entscheiden.« Nächste Woche wird also noch einmal urabgestimmt. Die HUB-Studierenden sollen sich selbst entscheiden, was sie wollen: Studentenrat oder Asta. Und nicht der Berliner Senat.

Auch im Studentenrat selbst herrscht indes Skepsis und Selbstkritik. Man müsse sich klar sein, sagte Thomas Neie, »daß an unserem Modell was faul war im letzten Jahr«. Die Resonanz bei den Studierenden, hielt sich in Grenzen. »Wie sollen wir Basisdemokratie ohne Basis machen?« fragt sich Peter Helm. In seinem Fachbereich (Physik) findet er kaum Leute, um die Urabstimmung vorzubereiten.

Die Befürworter des Studentenratmodells argumentieren mit seiner direkten Legitimation durch die Studis in den Fachbereichen. Die wählen, indem sie sich unmittelbar für einen ihnen bekannten Studenten entscheiden. Studentenparlament und Asta werden hingegen über Listen gewählt. Die studentischen Interessen würden so in »parteipolitische Hände gespielt«, mokiert sich Studentenrat Ilko Kowalczuk. Und wer die Menschen auf diesen Listen sind, wissen die Studierenden tatsächlich im seltensten Fall.

Die Entscheidung über den StudentInnenrat ist freilich weit mehr als eine aktuelle Frage. Den DDR-Studierenden ist es nach der »Wende« als einer der wenigen gesellschaftlichen Gruppen gelungen, sich zu emanzipieren. Sie haben den revolutionären Impuls der Montagsdemos zwar nicht gerade initiiert, aber aufgenommen und in den Universitäten umgesetzt. Sie haben sich selbständig vom Alleinvertretungsanspruch der FDJ befreit.

Am 12. Oktober 1989 forderten sie in der Humboldt-Universität Straffreiheit für die Inhaftierten der »legendären« Prügelnacht des 40jährigen Jubiläums der DDR. Sie verlangten nach einer freien Presse und — wie ein Stasi-Protokoll »über beachtenswerte Aktivitäten gewisser studentischer Kreise« belegt — eine unabhängige Studentenvertretung außerhalb der FDJ. Die StudentInnen könnten »zur Diskussion sprechen«, schrieb die FDJ auf Handzetteln wenige Tage später. Doch die Diskussionsleiter der »Kampfreserve der Partei« wurden kurzerhand abgesetzt.

Dieser 17. 10. 89 ist der entscheidende Tag des Herbstes für viele Studis geworden. Während sich Tausende von ihnen auf dem Innenhof der Universität versammelten, stand die Stasi in den Seitenstraßen und wartete im Keller.

Doch die Studentenrevolte war zu Ende, ehe sie richtig begann. Am letzten Tag der Urabstimmung über den Studentenrat, dem 9. November vor zwei Jahren, zerbrach die Mauer. Einige der Wahlurnen sollen zwischendurch gar auf dem Ku'damm gewesen sein. »Die Mauer hat uns die Show gestohlen«, klagte der damalige Studentenrat-Sprecher Ronald Freytag. 87 Prozent der an der Urabstimmung Teilnehmenden votierten für den Studentenrat.

Der so legitimierte Studentenrat blieb zwar weitgehend ohne engagierte Basis. Seine Politik war dennoch in und außerhalb der Uni professionell. Erste Ansätze einer gesetzlichen Verankerung des Studentenratmodells kamen etwa von hier. Im Sommer letzten Jahres organisierte der Studentenrat zusammen mit dem DDR-weiten Republikssprecherrat die Stipendiendemonstrationen in Berlin. Zehntausende von Studierenden blockierten dabei tagelang die Volkskammer. Aber die Politik wurde zu diesem Zeitpunkt bereits woanders gemacht: in Bonn.

Das elternunabhängige Stipendium kam nicht durch. Und die rechtliche Verankerung des Studentenrats wurde als einzige Rechtsverordnung, die von der letzten DDR-Regierung zur Verhandlung über den Einheitsvertrag eingereicht wurde, »vom Tisch gewischt«. Die Studierenden werden in der nächsten Woche nicht nur über die jüngste Vergangenheit der Humboldt-Universität entscheiden. Sie würden sich mit ihm auch die Chance bewahren, »ihren Protest gegen oktroyierte Strukturen zu artikulieren«, so Ilko Kowalczuk. Christian Füller

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen