: CAFÉSATZ VONCHRISTOPHBUSCH
Das Cafésatz-Rezept: in einem Café jemand Fremdes ansprechen und sie oder ihn ganz persönliche Dinge fragen. Die Einstiegsfrage: Warum sitzen Sie hier?
Es trägt den Namen einer Pizzasorte, ist aber viel feiner. Im weitläufigen, holzgetäfelten Café des Hotels an der Hamburger Binnenalster sitzt er allein an einem der Chippendale-Tische: ein zufriedener Bauch im Ausgehanzug, braves, graues Haar, glatt rasierte Wangen und ein versteckt neugieriger Blick. Warum sitzt er hier?
„Ich bin in meinem ganzen Leben noch nie in so einem vornehmen, teuren Hotel gewesen. Ich bin hier vorbeigegangen und hab' mir gedacht: Reiß dich zusammen, geh da rein! Dein Geld ist genauso gut wie das von den Reichen. Der, der draußen steht, der hat gerade jemanden ans Taxi begleitet. Als ich die Treppe hochging, stand einer an der Drehtür, ein ganz junger Mensch. Der drehte mir die Tür und sagte freundlich ,Guten Tag‘ zu mir. Dann hab' ich mich umgeguckt, rechts war die Rezeption, da waren ein paar saudi-arabische Prinzen, und dann bin ich links hier ins Café gegangen. Da war eine hübsche, junge, freundliche, rothaarige Dame. Die hat gleich gefragt: ,Was wollen Sie?‘ Ich hab' Mineralwasser bestellt.“
Er ist geschäftlich in Hamburg, zwei Stunden zu früh angekommen. „Ich bin Hausbesitzer, wenn Sie so wollen. In Rieseby bei Eckernförde. Da habe ich drei Häuser und noch so ein paar Grundstücke. Die vermiete ich an Leute, die mit ihrem Campingwagen Urlaub machen. Da lebe ich von.“ „Sie sitzen also sonst den ganzen Tag zu Hause und kassieren die Miete?“ „Ich hab' ein kleines Hobby: Ich fahr' gerne nach Kappeln an die Schlei. Da hab' ich ein kleines Boot, mit dem fahr' ich raus, angeln. Das mache ich sehr häufig.“ „Und Ihre Frau?“ „Meine Frau ist zu Hause. Die hat immer was zu tun. Die hat die Gardinen zu waschen. Letztens hat sie die Teppiche alle gereinigt mit diesem Schaumzeug. Das dauert, sag' ich Ihnen. Drei Tage hat sie damit zu tun gehabt. Ich durfte gar nicht ins Haus. Ich sag' Ihnen: Ich hab' doch draußen auf der Veranda frühstücken müssen.“
„Sie hätten doch längst schon mal in dieses vornehme Hotel gehen können, das ist doch Ihre Umgebung.“ „Aber überhaupt nicht. Meine Häuser sind doch ganz klein. Ich hab' ein eingeschossiges Reihenhaus und ein viergeschossiges kleines Mietshaus.“ „Wie sind Sie daran gekommen?“ „Ich habe geerbt. Also, ich konnte nichts dafür. Ich meine, unsereiner, der paßt nicht hierher, im Grunde genommen. Wir sind nicht so gewandt und so. Obwohl die hier sehr freundlich sind und einen das nicht anmerken lassen. Aber wenn ich jetzt hier auf die Toilette ginge — ich trau' mich gar nicht —, da wüßte ich nicht, was ich der Klofrau da unten geben soll. Hier gibt man doch nicht 20 Pfennig. Hier gibt man doch bestimmt fünf Mark. So einer wie der ältere Herr da drüben — der geht, wie Willy Birgel die Treppe runterging in seinen Filmen —, der hat damit keine Probleme.“
Er schaut zum Fenster hinaus: „Haben Sie diese Skinheads gesehen? Die stehen schon seit einer halben Stunde da drüben unter den Bäumen an der Alster. Die gucken bestimmt, ob hier Ausländer vorbeikommen. Aber da werden die Pech haben. Meine Vorfahren kommen aus Frankreich. Das waren Hugenotten. Aber nur mütterlicherseits. Wir heißen heute anders. Wir heißen nicht mehr so französisch. Gott sei Dank habe ich keine schwarze Hautfarbe. Stellen Sie sich mal vor, ich wär' schwarz und würde hier rausgehen. Die wären doch gleich auf mir drauf.“
„Vermieten Sie auch an Ausländer?“ „Um Gottes willen! Hab' ich schlechteste Erfahrungen gemacht. Ich sage Ihnen, die sind anders als wir. Ich will mal vorsichtig sagen: Die haben andere Ordnungsprinzipien als wir. Die zahlen die Miete, das wohl, aber die sind laut. Da war schon mal so ein Türke bei mir. Das war ein anständiger Mann. Das war nicht so einer mit einem schwarzen Bart und so stechenden Augen, wie die alle sind. Wenn der mal älter wird, kriegt der graue Haare, wie wir, also wie unsere Rasse. Aber die stören: Die machen nach zehn Uhr Musik, da können sie gar nichts dran ändern. Und die Kinder sitzen bis nachts um zwölfe bei den Eltern. Das sind die Deutschen nicht gewöhnt. Da verliere ich meine deutschen Mieter.“ „Dann vermieten Sie eben nur noch an Ausländer.“ „Aber soviel Ausländer gibt's bei Rieseby nicht. Die Schleswig-Holsteiner haben die schon ein bißchen weggeekelt da oben.
Ich fahre selten ins Ausland, wissen Sie, da fühle ich mich nicht so wohl. Ich spreche zum Beispiel keine ausländische Sprache. Ich war einmal in Frankreich vor ein paar Jahren, das erste und das letzte Mal in meinem Leben. Ein schönes Land, also wirklich. Ich hätte das nicht für möglich gehalten, weil doch früher in der Schule immer gesagt wurde, die Franzosen hätten so wenig Wald. Das ist ja gar nicht wahr. Sie müssen mal nach Frankreich fahren. Die haben ja fast mehr Wald als wir! Aber: Ich komme abends in so ein Hotel. Erstens mal war die Speisekarte mit der Hand geschrieben. Das konnte ich schon mal gar nicht lesen. Dann habe ich einfach so auf gut Glück Menu Nummer 4 gezeigt. Und dann kam da eine Platte mit Fleisch: Das Fleisch war kaum angebraten! Vom Schlachthof auf den Tisch, rot, blutig! Ich hab' keinen Bissen runtergekriegt. Da habe ich zu meiner Frau gesagt: ,Weißte was, Deutschland ist doch auch schön.‘ Und jetzt wird's noch größer.
Ich bin rübergefahren in die Zone. Ich wollte mir mal angucken, wie die sich jetzt berappeln. Auf der einen Seite wird ja geklagt. Aber es gibt auch ganz unternehmungslustige junge Leute. In Magdeburg hab' ich entfernte Verwandte. Einer ist in die Versicherungsbranche gegangen. Ich sage Ihnen, der ist auf dem Kiwief, der ist los, der hat Verträge gemacht.“ „Da ist ja viel Schmu gemacht worden.“ „Wahrscheinlich ein bißchen, das gehört ja auch dazu. Das ist eben der Kapitalismus. Das ist ja bei uns auch so. Ohne Bescheißen kommen Sie doch zu nichts bei uns. Der Hotelbesitzer hier — das soll ja ein Japaner sein, der das jetzt gekauft hat —, meinen Sie etwa, der hat nicht beschissen, daß er zu soviel Geld gekommen ist? Wenn hier so ein Japaner kommt, da könnte man natürlich auch sagen: Der ist gelb und hat so komische Augen. Aber: Der hat auch die volle Brieftasche! Solche Ausländer sind eigentlich gar keine Ausländer.“ „Dürfte denn so ein reicher Japaner mit Ihrer Frau verkehren?“ „Na, hören Sie mal! Meine Frau ist viel zu alt dafür. Das ist ja ein bißchen eine blöde Frage: Ein Japaner, der hier verkehrt, der würde doch nicht meine Frau anmachen. Die ist zu alt. Da guckt der sich doch andere Frauen an. Meine Tolchter vielleicht.“
QUATTROSTAGGIONE
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