: Die Ruhr brennt nicht
■ Trotz dramatischer Bilder aus dem Revier die Tendenz ist positiv
Die Ruhr brennt nicht Trotz dramatischer Bilder aus dem Revier — die Tendenz ist positiv
Starke Bilder aus dem Revier: erschöpfte Bergleute, die unter Tage streiken und die Kanalschiffahrt blockieren, Hoesch-Stahlarbeiter, die den Marsch der 50.000 über die B1 zur Villa Hügel des Krupp-Gottvaters Berthold Beitz ankündigen. Es scheint, als befinde sich eine ganze Region an der Schwelle zur Revolte, als kämpfe ein krisengeschüttelter, von Kohle und Stahl dominierter Ballungsraum ums Überleben. Tatsächlich hat dies mit der Lebenswirklichkeit der meisten Revierbürger nichts mehr gemein. Doch gerade im Fernsehen zählt die Macht der Bilder.
Dabei werden die revierfernen Bürger von den „Ruhrpottlern“ selbst, die etwa Anfang der 80er zu Zehntausenden mit dem Schlachtruf „Kohle, Stahl und Bier, davon leben wir“ durch die Dortmunder Innenstadt zogen, immer wieder auf die falsche Fährte gelockt. Im März dieses Jahres gingen exakt 1.611.500 Menschen im Revier einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Rund 52 Prozent arbeiteten im Dienstleistungsbereich — 1984 waren es erst 47 Prozent. Der Steinkohlebergbau, der 1957 noch rund 500.000 Menschen in der Region beschäftigte, bietet heute gerade noch 90.000 Bergleuten einen Job. Erstmals seit neun Jahren wird für Oktober mit einer Arbeitslosenquote von unter zehn Prozent gerechnet. Die Region hat sich gewandelt, mühsam zwar, aber nicht ohne Erfolg. Der jetzt im Rahmen der Kohlerunde geplante Abbau von Arbeitsplätzen wird diesen positiven Prozeß gewiß empfindlich stören. Doch für Panikreaktionen besteht kein Anlaß. Wahrscheinlich enden die Verhandlungen am kommenden Montag damit, daß — wie in der Vergangenheit — kein Bergmann beim Kapazitätsabbau ins „Bergfreie“ fällt. Durch Frühverrentungen, Zechenwechsel und normale Fluktuationen wird man Entlassungen wohl vermeiden können. Von solchen Bedingungen können Beschäftigte außerhalb des Steinkohlebergbaus in West- und Ostdeutschland nur träumen. Weil das auch die Bergleute wissen, kehrt bald — trotz aller Wut über die Erschwernisse für die Bergleute in Hückelhoven wegen der Insellage ihrer Zeche — wieder Ruhe im Revier ein.
Selbst der Sturm um den Krupp-Deal könnte sich bald legen. Sollte Krupp-Chef Cromme zur Durchsetzung seines Coups tatsächlich nicht mehr auf die Anteile der landeseigenen West-LB angewiesen sein, fiele der politisch brisante und erfolgversprechende Hebel weg. Da helfen dann auch keine noch so starken Töne von Betriebsräten mehr. Walter Jakobs
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