: Mannheimer Intoleranz gegenüber Andersgläubigen
In Mannheim soll eine Moschee gebaut werden. Die Stadt ist dafür und die beiden christlichen Kirchen auch. Die Anwohner sind aber strikt dagegen. ■ Von Bernd Oehler
Mannheims bedeutendster Kurfürst des 18.Jahrhunderts, der später nach München verzogene Carl Theodor, unterhielt in Schwetzingen — eine kaum einstündige Kutschfahrt von seinem Schloß entfernt — ein kleines Lustschlößchen, in dessen Park er aus Jux eine Moschee bauen ließ. Schwetzingen wird zwar nicht müde, sich des in Renovierung befindlichen Kleinods im Schloßpark zu rühmen, Tausende von Gästen bestaunen den unvermuteten Hauch Orient in der englischen Parklandschaft. Muslime der Region beten darin. Wenn aber 1991 eine islamische Gemeinde in Mannheim sich ein Bethaus bauen möchte, bricht ein Sturm der Empörung los. Der Jungbusch ist ein kleiner Stadtteil mit fünfeinhalbtausend Einwohnern, eingeklemmt zwischen Handelshafen, dem Ring, der die Quadrate der Innenstadt umgibt, sowie zwei Brücken über Rhein und Neckar. Zum Ende des 19.Jahrhunderts entstanden in der Nähe des Hafens im Jungbusch Industriefirmen, die aus Platzmangel wegzogen und anderswo berühmt wurden: Die BASF ging über den Rhein nach Ludwigshafen, Boehringer siedelte auf den Waldhof um und die Portland Zementwerke nach Leimen. Im Jungbusch wohnten Kapitäne und andere wohlbestallte Bürger, deren großzügige Behausungen noch heute Charme verraten: Klinkerfassaden mit Sandsteinverzierungen, hohe Toreinfahrten, Stuckdecken und weite Treppenhäuser kaschieren indes die im Inneren weitgehend vernachlässigte Bausubstanz. Die Tatsache, daß das Viertel von den Bomben des Weltkriegs verschont blieb, wurde nie genutzt. Viele Hausbesitzer wohnen nicht mehr in dem Viertel, das zu nahe am Hafen gebaut war, hatten folglich kein großes Interesse an moderaten Sanierungen. Rotlichtmilieu zog ein, der Jungbusch, vor allem die gleichnamige Straße, dürfte den meisten Binnenmatrosen ein Begriff sein. Deutsche verließen das Viertel, Ausländer strömten nach. Heute sind von den 5.500 Bewohnern 56 Prozent Ausländer: 1.300 Türken, 750 Italiener, 250 Jugoslawen, 200 Griechen, 60 Spanier darunter. In der Grundschule lernen Schüler aus 15 Nationen, 23 Prozent von ihnen sind Deutsche. Ins bunte Gemisch drängen auch die Studierenden der nahen Mannheimer Uni, die, wie auch einige Künstler, die noch billigen Mieten schätzen.
Zwei Gebetshäuser gibt es in der Innenstadt für Muslime: eines in der Böckstraße im Jungbusch, eines im Quadrat G7. Dieses Quadrat steht seit Jahren mitten im Sanierungsprozeß, bei dem die Hinterhöfe „entkernt“ und Platz für Grünanlagen und andere Freiflächen geschaffen werden. Dieser Sanierung möchte der Islamische Bund, der in G7 betet, mit einem Neubau am Luisenring im Jungbusch begegnen. Das Grundstück, auf dem bisher Autos parken, wurde dem islamischen Bund von der Stadtverwaltung vorgeschlagen, in deren Besitz es sich befindet.
Seit die Pläne für einen Moscheebau an die Öffentlichkeit kamen, hat die Volksseele in Mannheim ein Thema, das an Emotionsgeladenheit viele vorangegangene Zänkereien in den Schatten stellt. Im Schnittpunkt sich überlagernder Problembereiche der Stadt, wie dem hohen Ausländeranteil, der sozialen Deklassierung deutscher Verlierer im Wohlstandswettbewerb, der durch Hausbesitzer (teilweise systematisch) vernachlässigten Wohnqualität und einer zunehmenden Vermischung der Ausländer, Aussiedler und Asylbewerber, droht der gelassene Austausch der Argumente, der faire Kampf um Interessen zugleich mit der Toleranz abzusaufen.
Vor allem aus dem Jungbusch erhob sich lebhafter Widerspruch, auf einer Sitzung des Bezirksbeirates und einer Bürgeranhörung schlugen die Wellen hoch. Auf einer Bürgerversammlung in der katholischen Liebfrauenkirche schlug sich die Atmosphäre des Gebäudes kaum auf die Stimmung nieder. Ein Rechtsradikaler, von dem zu distanzieren sich sogar Republikaner beeilten, erhielt bei seinen ersten Ausführungen nach dem Motto „Es reicht jetzt!“ kräftigen Beifall. Wütendes Gemurre verdichtete sich zu Ausbrüchen wie „Italiener und Spaniern sinn kää Problem. Was mich uffregt, sinn die Türke mit ihre Kopptücher!“ Groß war deshalb die Verunsicherung, als eine junge Türkin mit Kopftuch in bestem Hochdeutsch um zumindest die selbe Toleranz den Andersgläubigen gegenüber bat, wie sie dem Rotlichtmilieu entgegengebracht wird. Ein Hausbesitzer aus der Seilerstraße, selbst vor 20 Jahren als Aussiedler nach Mannheim gekommen, entblödete sich dagegen nicht, Wertminderung für den Fall geltend zu machen, daß eine Moschee in seine Nachbarschaft käme. Räsonnierende Spießer hatten ihren großen Auftritt, um den Berg von Mißlichkeiten im Jungbusch in einen Topf mit der Moschee zu rühren.
So gut wie jede Äußerung der Moschee-Gegner begann mit der eilfertigen Versicherung, natürlich nichts gegen Türken oder eine Moschee zu haben — aber bitte nicht hier, lieber in der Oststadt (dem reichen Wohnviertel), auf dem Maimarktgelände (dem Ausstellungsgelände vor den Toren der Stadt). Erbärmliche Pseudofürsorglichkeit möchte die armen Türken vor einem „Türken-Ghetto“ bewahren. Eindeutig in der Minderheit waren Stimmen, die den Moscheebau nicht mit den Problemen des Stadtteils in Verbindung gebracht sehen wollten und eine Blitzableiterfunktion vermuteten.
Der Zusammenprall der Meinungen und Emotionen erzeugte auf allen Seiten tiefe Ratlosigkeit, auch der Stadtverwaltung dürfte deutlich geworden sein, daß die Kluft tief ist. Wie in allen Stadtteilen mit hohem Ausländeranteil ist diese Tatsache selbst eben nicht das Problem, sondern ein Indikator für eine strukturelle Schieflage auf vielen Ebenen. Die deutsche Bevölkerung im Jungbusch ist zu 40 Prozent über 45 Jahre alt und/oder gehört zu einem ebenfalls hohen Teil den unteren Einkommensgruppen an. Selbstverständlich gibt es den netten Umgang miteinander. Ausländer spelen in deutschen Fußballmannschaften bis hinunter auf Kreisebene, einer Oma im Jungbusch trägt Nachbar Ali die Kohlen hoch. Je anonymer das Verhältnis aber, desto ruppiger wird das Klima. Hier haben offensichtlich nicht nur Stadtplaner versagt oder Sozialpädagogen gegen Windmühlen gekämpft — hier drücken sich auch Aggressionen und Frustrationen sich benachteiligt fühlender Menschen aus. Der politische Umgang damit ist heikel und vorschnelle Lösungen sind keine. Der gute Wille, den die im Bezirksbeirat vertretenen Parteien durch ihre (bis auf die Republikaner) einhellige Unterstützung der Moscheepläne demonstrieren, reicht ebenso wenig aus wie die Arbeit Helmut Schmitts, des Ausländerbeauftragten der Stadt. Ihm schwante beim Thema Moschee von Anfang an: „Wir hatten auf jeden Fall Prügel zu erwarten.“ Hartnäckig hält er daran fest, daß miteinander geredet werden müsse, „weil gegenseitiges Verständnis gelernt und eingeübt sein will, zum Beispiel beim Zusammenleben der Religionen“. Auch deswegen fordert er dazu auf, die Bedenken und Ängste der deutschen Jungbusch-Bewohner ernst zu nehmen. Die Einrichung eines christlich-islamischen Gesprächskreises der beiden christlichen Pfarreien, das Gemeinschaftszentrum in der Jungbuschstraße — einiges wurde in Gang gesetzt. Aus der evangelischen wie der katholischen Kirche Mannheims gab es zum Bau der Moschee zustimmende Äußerungen, auch wenn auf der Gemeindeebene darüber keine Einigkeit herrscht.
Im Grunde ist die geplante Moschee ein weiteres Menetekel einer Zweidrittel-Gesellschaft, die ihre Schattenseiten nicht wahrhaben will oder in den Griff bekommt. Der mit dem größeren Teil der Welt verglichene atemberaubende Wohlstand mit seinen obszönen Verschwendungserscheinungen trägt eine eigene Dritte Welt in sich herum und ist entweder zynisch genug, dies zu billigen, oder dumpf genug, dies zu ignorieren.
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