: Genscher warnt vor EG-Krise
■ Gemeinsame Haltung im Jugoslawienkonflikt gefordert/ Außenpolitische Debatte im Bundestag
Bonn (dpa/ap) — Eine „schwierige Krise“ sieht Hans-Dietrich Genscher auf die EG zukommen, falls am Freitag kein einheitliches Votum zur Haltung gegenüber Jugoslawien zustandekomme.
In der außenpolitischen Grundsatzdebatte erklärte Genscher gestern vor dem Bundestag, die Regierung erwarte jetzt, daß die Friedenskonferenz ohne Serbien mit den friedensbereiten Regierungen fortgesetzt werde und das von der Gemeinschaft bereits beschlossene Sanktionspaket umgehend in Kraft gesetzt werde. Dazu gehöre zusätzlich ein umfassendes Embargo von Öl sowie von Kohle und Stahl gegen diejenigen, die den Friedensprozeß verweigerten. Man müsse der jugoslawischen Volksarmee die Möglichkeit nehmen, weiter Luftangriffe gegen die Bevölkerung zu fliegen, mahnte der FDP-Politiker.
Genscher sagte, außerdem dürften keine Ausfuhrlizenzen für sensible Güter mehr erteilt werden. Die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit solle gestoppt werden. Nur wenn eindeutige wirtschaftliche Signale gesetzt würden, seien diejenigen noch zur Besinnung zu bringen, die meinten, den Konflikt mit militärischen Mitteln lösen zu können. Der Außenminister äußerte die Erwartung, daß der Weltsicherheitsrat ebenfalls tätig werde, damit die Sanktionen nicht nur für die EG gelten, sondern für die gesamte internationale Staatengemeinschaft.
Während der Debatte zu den bevorstehenden Gipfeltreffen von Nato und Europäischer Gemeinschaft in Rom und Maastricht waren sich Bundesregierung und SPD-Opposition weitgehend einig, daß das politisch vereinte Europa auch über gemeinsame Streitkräfte in Absprache mit der Nato verfügen müsse. Die SPD warnte allerdings die Regierung, unter dem Deckmantel der europäischen Verteidigung Bundeswehreinsätze außerhalb des traditionellen Nato-Gebiets anzustreben.
In seiner Regierungserklärung hatte Kohl zuvor das Bündnis als „unverzichtbares Fundament für ein stabiles sicherheitspolitisches Umfeld in Europa“ bezeichnet. Gleichzeitig betonte der Kanzler, ein vereinigtes Europa sei auf Dauer ohne gemeinsame europäische Verteidigung nicht denkbar. Dies sei „weder Ausdruck des Zweifels an der Beständigkeit des Atlantischen Bündnisses noch ein Versuch, konkurrierende Zuständigkeiten zu schaffen“. Nach den Worten Kohls gehe es vielmehr darum, den europäischen Pfeiler im Bündnis auszubauen. Das Hauptgewicht werde dabei auf der Ausgestaltung der Westeuropäischen Union (WEU) liegen. Militärische Einsätze sollten aus seiner Sicht unter bestimmten Umständen und in enger Abstimmung mit der Nato der WEU zugeordnet werden können.
Für die SPD wandte sich der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Norbert Gansel gegen den Einsatz von WEU-Streitkräften außerhalb des Nato-Gebiets. Die dazu notwendige Verfassungsänderung werde es mit der SPD nicht geben. Die bevorstehende Nato-Konferenz müsse ein Signal dafür geben, daß das Bündnis seine veraltete Strategien über Bord werfe. Die Bundesregierung solle sich dafür einsetzen, daß die Nato offiziell auf die Androhung des atomaren Ersteinsatzes verzichte. Auch die Atomwaffen Frankreichs und Großbritanniens müßten in den Abrüstungsprozeß einbezogen werden.
Der EG-Gipfel Mitte Dezember in Maastricht, der über die Wirtschafts- und Währungs- sowie politische Union entscheiden muß, wird nach den Worten Kohls „der Testfall“ für die Bereitschaft der Mitgliedstaaten sein, „ihr Schicksal unwiderruflich miteinander zu verknüpfen“. Als vorrangig nannte Kohl eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Hierzu gehöre auch der Einstieg in außenpolitische Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit.
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