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89 Minuten Freude — dann Trauer

■ Der 1.FC Kaiserslautern schied im Europapokal der Landesmeister knapp gegen den FC Barcelona aus Eine Minute vor dem Freudentaumel drückte Bacero den Ball zum 3:1 ins Tor und Lautern in Lethargie

Kaiserslautern (taz) — So wie einst der Hamburger SV. Der 1.FC Kaiserslautern läßt dem FC Barcelona in letzter Minute den Vortritt in der neuen Meisterrunde. Es begab sich im April 1961, daß der damalige deutsche Meister Hamburger SV nach einem 0:1 in Barcelona im Volksparkstadion den Weg ins Europapokal-Endspiel nehmen wollte. Gegen Foncho, Kubala, Evaristo & Co. führte der HSV durch Tore von Peter Wulf und Uwe Seeler mit 2:0, das Finale gegen Benfica Lissabon war ganz nah. Beim Nachbarn, der bereits eine Glotze besaß, hockten wir mit unseren Vätern auf dem Sofa und waren guter Dinge. Doch wenige Sekunden vor dem Schlußpfiff flog eine Flanke vor das Tor von Horst Schnoor, und Kocsis köpfte das 2:1. Ein drittes Spiel war fällig, im Brüsseler Heyselstadion unterlag der HSV den Katalanen mit 0:1. Damals gab es nur wenige Fernseher in deutschen Wohnzimmern, und Videorekorder gehörten noch nicht zum Sprachgebrauch. Doch solche Augenblicke des Schreckens und der Enttäuschung vergißt man nie mehr.

So etwas wiederholt sich auch nicht — normalerweise. Doch was ist auf dem Betzenberg schon normal. Da war der FCK vom Gastspiel in Katalonien mit einem 0:2 zurückgekommen und sah eine gute Chance, sich mit einem Sieg von mindestens drei Toren Unterschied für die neu eingeführte Endrunde der Meister zu qualifizieren. Rechtzeitig zum Spiel des Jahres, wenn man von dem Juni- Flop gegen Mönchengladbach einmal absieht, lief es beim Meister wie im Meisterjahr — 3:0 gegen Karlsruhe, 2:0 in Bremen. Da in den Reihen der Lauterer aber keine Enddreißiger stehen, konnten sie den finalen Blackout des HSV von vor 30 Jahren nicht mitbekommen haben. So liefen sie den Katalanen genauso in die gleiche Falle und kassierten Sekunden vor Spielschluß das entscheidende Gegentor.

Unterschied zu damals: Dritte Spiele gibt es nicht mehr, und so spielt nun der FC Barcelona im lukrativen Vierer-Turnier. Johann Cruyff und seine Spieler müssen sich ihrer Sache sowieso ganz sicher gewesen sein, eine Verlängerung hatten sie gar nicht erst auf ihrer Rechnung. Hotelzimmer für die Nacht nach dem Spiel waren keine gebucht, flugs wollte man nach getaner Arbeit per Bus nach Saarbrücken und von dort in die Luft. Da aber Flieger auf dem Mini-Airport nur bis 24.00 Uhr starten dürfen, bekamen die in Goldgelb spielenden Barceloniner zwischen der 49. und der 76.Minute ein echtes Problem. Ein übermächtiger, dominierender FCK hatte von Anfang an Chance auf Chance erarbeitet und war durch Demir Hotic (35.) in Führung gegangen. Hotic' 2:0, nur Minuten nach der Pause, brachte dann den schnellen Rückflug für Barca in Gefahr.

Doch plötzlich zeigten die „Goldgelben“, was sie alles draufhaben. Sie schnürten den FCK ein und ermöglichten ihm dadurch auch den erlösenden Konter in der 76.Minute. Bjarne Goldbaek kam über rechts, zog im rechten Moment ab: 3:0. Rückflug gesichert. Der Däne hätte wenige Minuten später alles klar machen können, doch Zubizareta wurde es dann doch zu doll, und er rettete zur Ecke. Der Kollege zur Rechten träumte bereits von Roter Stern Belgrad, RSC Anderlecht und Arsenal London, als Ronald Koeman einen Freistoß weit nach vorne schlug, der gerade eingewechselte Markus Krantz pennte und Bacero das Spiel auf den Kopf stellte. 3:1.

Da lagen sie auf dem nassen Rasen, elf konsternierte „rote Teufel“, und konnten es nicht fassen. Wenige Minuten später füllte sich der Bahnsteig 5 des Lauterer Hauptbahnhofs mit Menschen, die dreinblickten, als seien sie nach härtester Arbeit aus dem Stollen nach oben gekommen. „Unser Stadion wird das Inferno für den FC Barcelona“, hatte Karlheinz Feldkamp vor dem Spiel prophezeit. Er hatte recht behalten. Fast wäre es Barca ergangen wie vor neun Jahren seinem Erzfeind Real Madrid, das mit 0:5 hier untergegangen war. Glücklicher als der FC Barcelona an diesem Abend kann man ein Spiel nicht umbiegen, und ein Zufallsmeister sind die Lauterer beileibe nicht gewesen. Günther Rohrbacher-List

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