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KÄSE UND RUM

■ Wenn man Karten nicht lesen kann

Wenn man Karten nicht lesen kann

VONESTHERANDRADI

Huayllas ist ein zerstörtes Dorf, seit dem Erdbeben von 1970 zertrümmert, und nie wieder hat es seither sein Haupt erhoben. Ich weiß nicht warum, aber ich bestand darauf, daß wir auf diesem Wege den Ort finden würden, wo die Weißen Kordillieren sich mit den Schwarzen Kordillieren umarmen, eine Traumlandschaft, die — ich hätte es bemerkt, wenn ich die Karte richtig gelesen hätte — genau in der entgegengesetzten Richtung lag, in die wir schritten. Aber weil wir so viel von der Einheit der Widersprüche, von feindseligen Reisen und von dem Leben, das auf der anderen Seite der Mauern wächst, gesprochen hatten, versteifte ich mich darauf, die Metapher in der Natur zu finden.

Huayllas war das natürlich nicht. So beschlossen wir, die Schlucht hinabzusteigen, um, entsprechend den Berechnungen, nach Huallanca zu gelangen, der Verkörperung meiner Phantasien. „Es ist ein Dorf, das nichts wert ist“, warnten sie uns, aber ich glaubte es nicht. Diese Leute schätzen nie, was sie besitzen, dachte ich.

Wir begannen mit dem Abstieg. Mist. Es war furchtbar. Ich weiß nicht, wieviel Hunderte von Metern es waren, aber sie kamen mir endlos vor, obwohl wir die Abkürzung durch die Berge genommen und den Schotterweg gemieden hatten. Mittags gingen wir los, und erst bei Einbruch der Dunkelheit kündigte uns ein Flimmern dort unten die Ortschaft Huallanca an.

Die Ankunft in diesem schönsten Ort der Welt war eine Katastrophe. Die Nacht war angebrochen, die Kinder beschimpften uns mit „Gringos“ und warfen Steine nach uns, sie zwangen uns, einen Seitenweg einzuschlagen, um einen Sturz oder den Verlust eines Auges zu verhindern. Der Ort war ein einziges Elend: stehende Hitze, eingepfercht, wie wir hier waren, vom Canon del Pato, den der Fluß Santa hier bildet, und alles war nackter, schwarzer Stein, der die erbärmliche Schlucht einfaßte. Und ein Haufen Männer, die Arbeiter des naheliegenden Kraftwerks, kamen uns entgegen. Ich fühlte mich Frau, Weib seit langem wieder, und spürte eine uralte Angst. Ich fühlte mich einsamer in dieser Gattung denn je.

Und in diesem Ort, dem häßlichsten Ort Perus, wie ich ihn später nennen würde, gab es auch kein Essen, klar. Nur Käse. Steine und Käse. Den besten der Welt. Den einzigen im Tal.

In der Pension, in der wir schlafen sollten, gab ich mich als Hausfrau aus. Die Frau, die uns empfing, musterte mich. „Eine Nutte bist du, überall zu Haus“, dachte sie. Er gab an, er sei Tischler. Der Nutte und dem Tischler wiesen sie ein Zimmer zu, so groß wie ein Volleyballfeld, mit vier Betten und ohne Bad. Unmöglich zu schlafen, trotz unvergleichlicher Müdigkeit. Die Hitze und das Geschrei der Jungen — „Gringos!“ „Gringos!“ — waren nicht auszuhalten. Um Mitternacht kauften wir eine Flasche Rum. Käse und Rum, wir haben uns wie die Teufel besoffen. Um 4 Uhr morgens erwachte ich mit einem unwiderstehlichen Drang zu pissen. Aber wo? Ich tastete mit den Händen nach der längst leeren Flasche „Cartavio“- Rum, und mit der Präzision eines Chemikers führte ich meine Öffnung an den engen Flaschenhals. Oder umgekehrt, wer weiß. Große Lust und Erleichterung. Die Flasche fast halbvoll.

Am folgenden Tag verließen wir fluchtartig dieses feindlichste aller Dörfer, auf das wir je gestoßen waren. Im Innern fühlte ich mich glücklich mit dieser Rache. Ich wußte, der Schnüffler bliebe nicht aus, der beim Durchsuchen des von den Gringos eben geräumten Zimmers mittendrin die Flasche „Cartavio“ fände. Und mein Urin sah genauso aus wie der mieseste Rum der Welt.

Übersetzung: Ingrid Lange.

Auszug aus dem Buch von Esther Andradi: Come este es mi cuerpi („Iß, das ist mein Leib“). Ediciones Ultimo Reino, Buenos Aires, 1991.

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