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Scheibengericht

■ / Dire Straits / Jethro Tull / Skeleton Crew / Bill Frisell / Doran, Studer, Burri, Magnenat / Neil Young & Crazy Horse / Eric Clapton / Robbie Robertson / Hole

Dire Straits:

On Every Street, Vertigo/Phonogram 510160-2.

Jethro Tull:

Catfish Rising, Chrysalis CDP 3218862.

Von der Rockwelt, die sich ernstnimmt (die mit Rock, der ernstzunehmen ist, nicht gänzlich identisch ist), werden diese Platten verachtet. Denn: „Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um.“ Aber mit dem Rock, der sich selbst fortzeugt, ist es letztlich nicht viel anders bestellt, als mit einem Kind, das sich Eltern in der Genfabrik nach dem Maß ihrer Fetische haben montieren lassen: will man es dafür verachten?

Jethro Tull ist die ältere Band, und für sie ist es schwerer, sich gegen die Summe ihres Versagens zu behaupten. Von der Besetzung vom Anfang der siebziger Jahre sind nur noch der Bandleader, Sänger, Gitarrist und Flötist Ian Anderson und sein Leadgitarrist Martin Barre übriggeblieben. Auf Catfish Rising zeigt er, daß ihm noch immer die Songs einfallen, die gut sind, seine Stärken zu zeigen: ein ohne-aus- dem-Atem-zu-kommen in erregte Phrasen steigender, näselnder Gesang; und die zersplitternden, harten Flötensoli, das Logo in der Musik von Jethro Tull.

Trommelwirbel. Einsatz Schlagzeug (Pause), neuer Einsatz des Schlagzeugs, Einsatz der Gitarren mit galoppierenden Phrasen, in die Wiederholung des fast austauschbaren Motivs gurgelt der Baß, in die dritte und vierte Wiederholung des Gitarrenmotivs singen die falschen Orgelpfeifen, und während die Gitarren zur fünften Wiederholung anheben, setzt die Stimme ein: „Winds howled. Rains spit down. All these nights playing precious games“ (This Is Not Love). Man könnte meinen, diese Band wäre 1976 in akustische Quarantäne gesteckt worden, wäre da nicht dieser verdächtige Klang in Martin Barres Gitarre. Nichts Spektakuläres eigentlich, nur so ein blecherner Klang, mit rhythmisierten Akkorden unterlegte, sparsame Läufe: der Sound von Mark Knopfler. Manöver, die unvermeidlich werden, wenn die Gattungsgrenzen der eigenen Musik den Horizont bilden. Hätte Anderson - wie etliche New Waver - auch nur eine Spur vom Soul gelernt, er wäre um die Bereicherung seiner Klangfarben nicht verlegen gewesen. Dennoch ist Jethro Tull eine Rockband und nicht das Orchester eines Liedermachers; ihre Dynamik ist etwas mechanisch, aber der Sound ziemlich transparent. Was bei Anderson an Folk einfließt, ist so echt wie eine original holländische Kachel aus Plastik.

Der Erfolg der Dire Straits ist nicht weniger unheimlich als der Tracy Chapmans. Sie bedienen die Sehnsucht nach Authentizität, und sie oder ihre Ingenieure wissen, wie man das Säuseln des Synthesizers so unter den Klang einer akustischen Gitarre legt, daß der Effekt des Hausgemachten eher verstärkt wird. Mark Knopfler, Kopf, erster Gitarrist und Stimme der Dire Straits, ist ein Virtuose des Understatements. Wo seine Kompositionen leise sind oder langsam, wo sie perlen, meint man immer, es ginge erst später richtig los, und wenn es dann losgeht, bleibt der Vortrag eine Spur zu müde, der Joker im Ärmel. So klingt auch die neue Platte, die teils auf das 1978er Debut zurückgreift und teils nahtlos an die letzte Platte Money for Nothing, die immerhin sechs Jahre alt ist, anschließt. Im Vergleich zu den Simple Minds, die man inzwischen mit mindestens fünf anderen Bands verwechseln kann, haben die Dire Straits ihren Sound behutsam monumentalisiert. Was auf der elektronischen Seite ihrer Musik amerikanisch klingt, erscheint nicht notwendig als Kompromiß, weil die Wurzeln der Dire Straits von vornherein amerikanische waren, Rhythm and Blues, Country, Rock'n'Roll. Knopflers nachlässige Phrasierung der Stimme ist an Dylan geschult.

Nicht umsonst gehörten die Dire Straits zum alltäglichen Programm des Soldatensenders in Saudi-Arabien (wofür sich Knopfler mit einem etwas melancholischen Antikriegslied entschuldigt, in dem allerdings eine Luftwaffe nicht vorkommt: „Iron Hand“). Es gibt nur einen wesentlichen Unterschied von damals (1978) zu jetzt: On Every Street klingt nach Geld. Es ist die Musik von Multimillionären, die die allerechtesten Jeans tragen, so wie du und ich.

Skeleton Crew:

Learn to Talk/The Country of Blinds, recDec 512 (EFA) 1455626

Der richtige Begleiter für drei Tage U-Haft: widerständige Musik mit doppeltem und dreifachem Boden. Die Skeleton Crew formierte sich Mitte der achtziger Jahre. Das heißt, das Duo blieb übrig, als ein Quartett, das nie gespielt hatte, zerbrach; deshalb „Skelett-Crew“. Gegen die gewaltige, im Libidinösen geglättete Energie einer „deregulierten Gesellschaft“ stellte das Duo Tom Cora/Fred Frith ein programmatisch improvisiertes Unternehmen: ein Cellist und ein Gitarrist/Geiger als multiinstrumentale Combo mit dem Gewicht auf Rhythmus. Das Setting, und teils auch die gezielt ungenaue Parallelführung der Stimmen, erinnern an die zu Unrecht vergessene Incredible String Band, ein ähnlich ehrgeiziges Projekt zwanzig Jahre zuvor. Die Skeleton Crew ist unbarmherzig mit dem Material, das ihr ein- und zufällt, und nicht unbarmherzig mit dem Hörer. Mühelos folgt man den Anstrengungen der Musiker, traditionelle Melodieinstrumente als Schlagwerk zu gebrauchen, einen Trauermarsch von provinzieller Intensität mit einem Schlag in einen Tanz zu verwandeln. Die Stimmen der moral majority werden über Band eingestreut, als handele es sich um das Gemurmel guter Freunde. Die Klangfarben werden mit äußerster Sorgfalt angemischt, musikalische Genres mit einem Hauch von Erstaunen (seltener mit Häme) gebrochen und wieder vermischt. Manchmal fühlt man sich an Monteverdi erinnert, wie Harnoncourt ihn spielen läßt (dieses Gefühl eines Neubeginns), aber die New Yorker Einflüsse sind durchaus spürbar, die skurrilen Hymnen Laurie Andersons und die urban-industrielle Rhythmik der Talking Heads.

Cora und Frith haben zeitweise geglaubt, sie seien die besten „drummer around“ - der Rausch des Dilletantismus, man kann ihn auch hören. Dann aber, mit der ganzen verzweifelten symbiotischen Verstrickung von Geräusch und Song, Instrumenten und Körpern, kamen sie an die Grenzen des derzeit Möglichen. Learn to Talk hieß der Querschnitt ihrer Arbeit. Danach wurde die Skeleton Crew, mit Zeena Parkins an (z.B.) Orgel, elektrischer Harfe und Akkordeon ein Trio. Das Sprechen mußte neu erfunden werden: The Country of Blinds beginnt mit einem reichlich hysterischen Krakeele („To meet anyone nose at nose/So many heads, so much opinion“), aber die Platte läßt ahnen, wieviel Kraft die drei gebraucht haben, um dem Drama des begabten Erwachsenen zu entgehen: der Produktion von Hits. Beide Platten mit je zehn Stücken sind nun auf einer CD wieder erschienen, Total Time: 75 Minuten und 48 Sekunden.

Bill Frisell:

Is That You?, Elektra/Nonesuch 7559-60956-2.

Doran, Studer, Burri, Magnenat:

Musik für zwei Kontrabässe, elektrische Gitarre und Schlagzeug, ECM 1436 847941-2.

Eine von Erich Wonders einprägsamen Bühnenbildideen war der ansteigende Boden, auf dem sich die Schauspieler einen ganzen Abend lang bewegen. Bill Frisells Musik auf Is That You? hat etwas von diesem eingebauten Widerstand. Es gibt Saitensoli (Gitarren, Banjo, Ukulele), von denen man kaum sagen kann, ob es ein Gang vorwärts oder rückwärts ist. Dieses spezielle Verhältnis zur Zeit macht die Qualität der Platte aus.

Es gibt, grob sortiert, drei Stimmungen: industrielle Schrille, verhangene Melancholie und barocke Artigkeit. Die Montage hat allerdings nichts Parodistisches (wie bei der Skeleton Crew, s.o.), sondern wirkt eher wie eine gelungene Rauminstallation, wo man an der Vollständigkeit des Inventars nicht zweifelt. Die Gitarrensoli schwellen an, um phallischen Genuß zu repräsentieren, aber werden dann von anderen Instrumenten eingeholt und eingebunden. Die Blasinstrumente, Tuba und Klarinette, sind subtil beigemischt, eher Farbe als Gegenstand. Das einfachste der zwölf Stücke, „Chain of Fools“, erinnert ein bißchen an den nervigen kollektiven Schwung von Weather Report. Ansonsten ist alles sehr eigen im Quartett von Frisell, mit Wayne Horvitz an den Tasten, Joey Baron am Schlagzeug und Dave Hofstra an Tuba und Baß. Der Klarinettist ist Frisell selbst.

Ein weiteres Quartett (ebenfalls rein instrumental): Christy Doran (E-Gitarre), Fredy Studer (Schlagzeug, Percussion) und jeweils am Kontrabaß Olivier Magnenat und Bobby Burri. Aber was da in Luzern eingespielt wurde, hält dem Vergleich mit der Frisell-Gruppe bei weitem nicht stand. Die Stücke bedienen sich der Standarddynamik: suchende Motive, allein oder zu zweit gespielt, stehen für Verlorenheit; und in instrumentalen Gewittern, deren Struktur mehr zu ahnen als zu hören ist, entlädt sich das Phantasma vom kreativen Kollektiv. Die Kompositionen sind (bis auf eine kurze Dreingabe) vom Iren Christy Doran, der in der Schweiz lebt, und sie sind Ausdruck eines Konflikts zwischen geschriebener und improvisierter Musik. Die Musik kommt nicht aus dem Zusammenspiel, aber sie bietet auch nicht eine solche weite Textur, daß die Spontaneität der Spieler gefordert wäre. Die Motivwechsel kommen überraschend, aber auch im Nachhinein wird nicht deutlich, mit welcher Absicht oder aus welchem Sentiment sie sich herleiten. Die Platte zeigt die Schwächen aller ECM- Platten von Pat Metheny bis Terje Rypdal; das Genie klopft eine Spur zu laut an die Türen und heißt womöglich Produzent. Werke, die in der Absicht begonnen werden, Stil hervorzubringen, sind immer gewalttätig.

Neil Young & Crazy Horse:

Weld, Reprise/Warner 7599-26671-1.

Eric Clapton:

24 Nights, Reprise/Warner 7599-26420-1.

Zwei Live-Doppelalben zweier ganz großer Namen im Rock seit mehr als zwanzig Jahren. Neil Young hatte ich vor neun oder zehn Jahren das letzte Mal gehört, in der Filmmusik zu Dennis Hoppers Out of The Blue. Tatsächlich eröffnet Neil Young das Album mit dieser My, My, Hey Hey-Klage über die verblichenen Könige des Rock'n'Roll. Der Sound ist enorm dicht und sehr, sehr rauh; Youngs melodiöse Gitarre kommt ausschließlich über den Verzerrer. Man merkt auch diesen Anhängern eines klaren, disziplinierten Rock an, daß es so etwas wie Punk mal gegeben hat. Oder anders gesagt: Neil Young und seine drei Begleiter (g,b,dr) sind altmodisch, aber nicht die Spur sentimental.

Was man von Eric Clapton nicht sagen kann, aber irgend jemand muß ja die Songs bereit halten für die Verlassenen. Das Livealbum, produziert von Russ Titelman, bringt auf den vier Seiten: eine „4 piece Band“, eine „Blues Band“ (mit Robert Cray und dessen Bassisten Richard Cousins), eine „9 piece Band“ und Aufnahmen mit dem National Philharmonic Orchestra unter Michael Kamen und Spielern aus den anderen Formationen. Seit vier Jahren spielt Clapton jeweils im Januar in der Londoner Prince Albert Hall, zuerst neun Abende, in diesem Jahr 24 (in Worten: vierundzwanzig). Die Aufnahmen haben nicht die brachiale Künstlichkeit der letzten Platte, Journeyman. „Running On Faith“, von eben der Platte, kommt jetzt schon daher wie ein Klassiker. Es sind zwar in letzter Zeit ein paar Leute rechts und links von Clapton vom Himmel gefallen, aber Clapton klingt noch immer so, als sei er von dort herabgestiegen. Alle Mitglieder der Sekte müssen diese Platte kaufen.

Robbie Robertson:

Storyville, Geffen/Ariola, GED 24303/GEFD 24303.

Es ist nicht dasselbe, ob man Wurzeln hat oder sie sucht. Robbie Robertsons neueste Soloplatte ist jedenfalls ein Beispiel für einen Musiker, der mit einem leeren Koffer unterwegs war. Was Robertson von seiner Erkundung im alten Musikviertel von New Orleans, Storyville, mitgebracht haben will, ist nicht einmal mehr zu hören. Es ist das übliche angestrengte Songwritertum, das seinen dicken Hintern auf dem bequemen Sessel bedeutungsschwanger orchestrierten Mainstreamrocks niederläßt. Zwar haben die Nevilles dem Touristen aus dem Norden ein bißchen ausgeholfen (Aaron Nevilles rührende Falsettstimme auf What About Now), aber Schlagzeugmaschinen wie Jerry Marotta garantieren, daß keine Millisekunde air play durch Stille verschenkt wird. Robertsons Stimme, die so klingt, als sei er mal mit einer Rasierklinge an die Stimmbänder gekommen, war schon eine zentrale Schwäche der Formation The Band (die dann ja auch ihre größten Momente mit Dylans Stimme hatte), und der bemüht erotisierende Tonfall Robertsons ist auf Storyville schwer zu ertragen. Weisheiten wie: „The errors of a wise man/ Make the rules for the fool“ hätte ich mir vielleicht übers Bett gehängt, als ich fünfzehn war. Robertson sollte sich dringend seinen Bernie Taupin suchen.

Hole:

Pretty on the

Inside, City Slang/Vielklang (EFA) 04071-26.

Die kalifornische Band Hole sah ich per Zufall bei den Berlin Independent Days, und ich hatte das erste Mal das Gefühl, eine Band zu sehen, die wichtig ist, ganz gleich, ob irgend jemand sie kennt. Sie fallen in ihre Songs und lassen sie plötzlich fallen, und für Courtney Love, die einzige Stimme der Gruppe, eine Frau von gänzlich frappierender Präsenz durch Härte, ist Gesang identisch mit einem heiseren Schrei, daß man fürchten muß, sie werde in einen tödlichen Krampf fallen. Aber das täuscht, sie fängt damit erst zu singen an; dieser Schrei ist also anfällig für Melodien. An der Lead-Gitarre spielt Eric Erlandson, am Baß Jill Emery und am Schlagzeug Caroline Rue. Nicht daß dies „fast“ eine Frauenband ist, scheint mir entscheidend, sondern daß Courtney Love in dieser Band ein Gewaltpotential zugespielt wird, das in der Regel nur Männer zu nutzen bereit sind. Gespielt wird ein schwerer, wunder Rock, hard, psychedelisch, häufig am Rand der Übersteuerung. Die Texte, in sich nicht unbedingt konsistent, berichten von solchen Verletzungen, die sich vorwiegend in der Pubertät ereignen und im schlechtesten Fall aus einer Dreiviertelpersönlichkeit zwei Persönlichkeiten machen.

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