: Gott liebt auch Werner
■ Fernsehmoderator Peter Hahne in der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Tempelhof
Wer hat sie noch nicht im Fernsehen gesehen, die telegenen Laienprediger, die in Maßanzügen über lange Bühnen toben, das Mikrophon vor den Mund gepreßt, schwitzend, hektisch mit den Armen rudernd, vor sich eine wippende Woge glücklicher Menschen, die ekstatisch die Arme heben und Gott lautstark preisen... Heute abend will ich genau das sehen, erleben, fühlen.
Doch schon der Innenraum der Kirche wirkt ernüchternd. Lange Reihen schlichter Stühle, helle Wände, ein Klavier, ein Kreuz, ein Podest, darüber die Kanzel.
Halb acht. Wo ist Peter Hahne? Ein Pastor begrüßt uns im Namen Jesu, dankt Peter Hahne für sein Kommen, der Chor singt.
Wo ist Peter Hahne?
Der Pastor kommt zurück und liest aus der Bibel. Danach stehen wir alle auf und beten.
Wo ist Peter Hahne?
Der Pastor betritt das Podest und sagt noch ein paar Worte. Dann kommt er auf die Kanzel: Peter Hahne! Burkhard bietet mir ein Pfefferminz an. Schlagartig wird mir bewußt, in welch auswegloser Situation wir uns befinden; um uns herum liebe, christliche, gutaussehende, saubere, fröhliche Menschen, die uns freundlich taxieren, so freundlich, daß sich mein schlechtes Gewissen meldet, denn ich bin unrasiert, und getrunken haben wir auch schon was, und es ist sehr hell in dem Raum, weder Bilder noch Weihrauch lenken von uns ab oder zumindest von den Gerüchen, die uns entströmen, wir sind quasi auf uns zurückgeworfen, und darauf waren wir nicht vorbereitet.
Mir fällt ein Schlager ein, ich singe ihn leise, für mich und Burkhard: »Ich zähle täglich meine Sorgen, denn ich sorg' mich sehr...« Der Weg zum Ausgang ist versperrt. Nur um mich zu ärgern, blickt Burkhard traurig an sich hinunter und deutet auf seine fleckigen Hosen.
Ich möchte raus!
Peter Hahne tut alles, um mir den Rest zu geben: »...so verschieden wir hier sein mögen, in dieser großen Stadt, nach Stellung und Beruf, in unseren Absichten, Einsichten und Gedanken, ob Männer, ob Frauen, ob jung oder alt, so verschieden wir sind, und wir sind alle restlich verschieden, weil jeder als Original geschaffen ist, wir haben nur ein einziges gemeinsam, nur eins: das Ziel unseres Lebens ist der Tod...« [Schön, daß er das erwähnt. Was nach dem Tod kommt, ist doch eigentlich viel interessanter. Aber da schweigt sich der »nette« Prediger aus. Hat wohl auch Schiß - d.S.]
Ich will raus!
»...alle lebendigen Wesen sind geboren, um zu sterben, das ist das einzige, was uns eint. Auch die Kinder, die jetzt in diesen Minuten geboren werden, irgendwo in einem Krankenhaus in Tempelhof oder irgendeinem der Bezirke Berlins, diese kleinen Babys sind geboren, um zu sterben...«
Der Ausgang ist unerreichbar am Ende der Welt, Peter Hahne predigt unerbittlich von toten Babys, ich starre meine Nachbarn an, meine Nachbarn starren Burkhard an, der starrt auf seine Schuhspitzen. Nach unendlich vielen Geschichten über Tote, Äpfel, Kranke, Farmer, Hausbesitzer und Mißernten wünscht Peter Hahne uns und sich einen schönen Abend.
Der Pastor kommt. Der Chor hebt zu singen an. Der Pastor sagt ein paar nette Worte. Wir stehen alle auf und singen. Der Pastor wünscht uns und sich einen guten Abend. Mit Gottes Segen im Genick schleiche ich nach Hause. Werner
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