„Miss Mun River“ und der Staudamm Pak Mun

Im Nordosten Thailands bestimmt der Streit um einen Staudamm am Pak Mun selbst einen Schönheitswettbewerb  ■ Aus Thailand Sven Hansen

Laute Musik dröhnt durch Wang Sabaeng Tai. Das Fest auf dem abgezäunten Platz vor dem Dorftempel ist in vollem Gange. Vor dem Eingang drängen sich die Menschen, es gibt Zuckerrohrstücke, Honigbonbons, Krabbenchips und Getränke zu kaufen. Drei Dorfpolizisten reißen die 15 Baht (eine Mark) teuren Eintrittskarten ab. Auf dem Tempelplatz hocken 300 Menschen und blicken zur Bühne, wo die vierköpfige Band der Grenzpolizei unter einem Wellblechdach die neuesten thailändischen Schlager präsentiert. Viele kennen die Lieder auswendig und singen mit, während der Sänger mit der hohen Stimme dazu mit den Hüften wackelt.

Drei ältere Herren stellen sich mir als Angehörige der Grenzpolizei vor. Sie drängen mich, vorn links neben der Bühne auf einem Korbsessel bei der lokalen Prominenz Platz zu nehmen. Begeistert erzählt mir ein 50jähriger Offizier von dem Schönheitswettbewerb, der hier gleich stattfinden soll. Er fordert mich auf, aktiv an der Wahl der „Miss Mun River“ teilzunehmen, bietet mir ein Glas Mekong-Whisky an und leert das seine in einem Zug.

Wang Sabaeng Tai liegt am Ufer des Flusses Mun im äußersten Nordosten Thailands, etwa zehn Kilometer von der Einmündung in den Mekong entfernt, der hier die Grenze zu Laos bildet. Das Leben in diesem Fünfhundert-Seelen-Dorf ist einfach, doch es herrscht keine Not, denn der Boden entlang des Mun ist fruchtbar und der Fluß fischreich. Doch die Menschen hier fürchten um ihre Existenz, seitdem Thailands staatliches Energieunternehmen EGAT nur fünf Kilometer flußabwärts den Pak-Mun-Staudamm baut. Der siebzehn Meter hohe Damm soll den Fluß auf einer Fläche von sechzig Quadratkilometern stauen und einmal 136 Megawatt Strom erzeugen. Dafür werden etwa tausend Familien ihr Haus und Ackerland verlieren. Aufgrund schlechter Erfahrungen bei früheren Projekten der EGAT trauen die Betroffenen den Ersatzangeboten nicht.

Mit Petitionen, Demonstrationen und Straßenblockaden sowie einem zweitägigen Hungerstreik haben sie sich bisher gegen ihre Vertreibung gewehrt. Thailändische und internationale Umweltorganisationen haben zudem auf die negativen Folgen des Großprojektes für die Umwelt und auf die mangelhafte Information der Bevölkerung verwiesen. Eine Studie der US-amerikanischen Agency for International Development kam sogar zu dem Ergebnis, daß mit einem Viertel des Geldes die gleiche Menge Energie gespart werden könnte, die der Damm einmal produzieren soll. Angesichts der massiven Kritik sah sich die Weltbank, die das Projekt mit 21 Millionen Dollar unterstützen will, kürzlich veranlaßt, die Entscheidung über den Kredit zu verschieben (siehe taz vom 19.September).

Die Bank befand sich in einem Dilemma: Eine Ablehnung kurz vor der Mitte Oktober in Bangkok stattfindenden Jahrestagung der Weltbank wäre ein Affront gegen die gastgebende Regierung gewesen. Ein Okay für den Kredit hingegen hätte den Protesten während der Tagung Auftrieb gegeben. So kam es im Oktober erstmalig zu zwei Treffen zwischen Betroffenen und einigen Exekutivdirektoren der Bank, die demnächst endgültig entscheiden wollen.

Die thailändischen Behörden und die EGAT versuchen ihrerseits seit langem, die Bevölkerung am Mun durch Angebote, Versprechungen und Drohungen vom Widerstand abzuhalten. „Wir haben vor drei Jahren erstmalig von dem Projekt erfahren. Da bekamen wir auch plötzlich Strom“, erzählt Tom Nagan aus dem Dorf Don Sawan. „Die Regierungsbehörden sind seitdem richtig um uns bemüht.“ In ganzseitigen Anzeigen in Bangkoks Tageszeitungen wirbt die EGAT mit Fotos, auf denen von ihr bezahlte Ärzte die Bevölkerung medizinisch versorgen. Doch die EGAT soll auch mehrfach damit gedroht haben, ohne Entschädigung zu enteignen, wenn die von ihr gebotene Kompensation nicht endlich angenommen wird, berichten mir Betroffene.

Als Hochburg des Protestes gilt Wang Sabaeng Tai. Vor einigen Hütten stehen Schilder mit Aufschriften wie „EGAT-freie Zone“ oder „Stoppt den Damm!“. Da die Grenzpolizei hier erstmalig ein Fest veranstaltet, vermuten viele die EGAT oder die den Damm unterstützende Provinzregierung dahinter. Doch die DorfbewohnerInnen sind sich uneinig, wie sie mit dem Fest und dem Schönheitswettbewerb umgehen sollen. Einige boykottieren das Fest. Andere haben sich entschlossen, die Wahl der 13jährigen Boason Tongkum zu unterstützen. Sie ist die Tochter einer im Widerstand besonders aktiven Frau. Mehrere Familien haben sich die Kosten für das Kleid des Mädchens geteilt. Sie hoffen, mit Boasons Wahl zur „Miss Mun River“ ein Zeichen zu setzen.

Die Band der Grenzpolizei tritt nach kurzem Applaus von der Bühne. Der Moderator kündigt den Höhepunkt des Abends an, den Schönheitswettbewerb. Er verweist auf die beiden Tische vor der Bühne. Rechts steht der zu gewinnende vergoldete Pokal. Links gibt es bunte Ketten und Blumen aus Papier zu kaufen. Zwar werde die Wahl von einer Jury, bestehend aus dem Bürgermeister, Offizieren der Grenzpolizei und dem Lehrer, entschieden, aber die ZuschauerInnen können die Wahl beeinflussen, indem sie den Kandidatinnen Ketten und Blumen überreichen, erläutert der Moderator. Eine Blume zählt doppelt soviel wie eine Kette.

Seichte Musik ertönt. Die Kandidatin Nummer 1 wird aufgerufen. Ein 17jähriges, blaßgeschminktes Mädchen tritt hinter einem Vorhang hervor. Sie trägt ein orange-goldfarben gestreiftes Kleid in traditionellem Schnitt mit diagonal über dem Oberkörper verlaufender Schärpe. Im hochgesteckten Haar trägt sie eine Krone, mit zierlichen Schritten stolziert sie selbstbewußt über die Bühne. Das Publikum ist beeindruckt. Der inzwischen merklich angetrunkene Grenzpolizist neben mir sagt, das Mädchen arbeite in der Kantine der Dammbaustelle und werde von dort unterstützt. Während er mich auffordert, ihr mindestens zwei Blumen zu kaufen, bekomme ich plötzlich von hinten fünf Papierketten in die Hand gedrückt, um sie Boason Tongkum zu überreichen. In ihrem bonbonfarbenen Kleid, der vielen Schminke im Gesicht und der Blume im Haar hätte ich sie fast nicht erkannt. Sie ist die kleinste und jüngste und recht verunsichert. Doch das Dorf steht hinter ihr. Sie bekommt den meisten Applaus und so viele Ketten um den Hals, daß ich Schwierigkeiten habe, ihr noch weitere fünf umzuhängen. 35 Ketten und 14 Blumen — ihr Sieg scheint sicher.

Nach kurzer Musikeinlage wechselt der Moderator mit den Mädchen jeweils ein paar Sätze. Er schmeichelt ihnen, die Mädchen lächeln verunsichert zurück. Nur Boason nimmt all ihren Mut zusammen und sagt, er solle keine Sprüche machen, schließlich gehe es um den Damm, der das Dorf bedroht. Sie erhält tosenden Beifall, doch der Moderator nimmt ihr das Mikro weg. Die Jury krönt das Mädchen mit der Nummer1 zur „Miss Mun River“. Sie erhält den Pokal und einen Umschlag mit Geld. Der angetrunkene Offizier zu meiner rechten, Mitglied der Jury, murmelt mir unterdessen ins Ohr, daß er selbstverständlich auch gegen den Staudamm ist.