Fünf politische Gefangene Chiles im Hungerstreik

Nach wie vor warten über achtzig Häftlinge auf ihre Begnadigung/ Ehemalige Attentäter werden ausgebürgert  ■ Aus Santiago Gaby Weber

Seit dem 30. September befinden sich fünf politische Gefangene in einem unbefristeten Hungerstreik — „stellvertretend für alle, die immer noch hinter Gittern sitzen“, schrieben sie in ihrer Erklärung. Zwei wurden letzte Woche wegen ihres kritischen Gesundheitszustandes in eine öffentliche Ambulanz eingeliefert. Dort erlitt einer von ihnen eine Nerven-Lähmung. Am Wochenende wurden alle fünf in das „Hospital del Salvador“ eingeliefert, einer wird dort zwangsernährt.

Der Regierung, die vor zwei Jahren mit der Parole „Weihnachten ohne politische Gefangenen“ auf Stimmenfang gegangen war, ist die Situation offentlichtlich unbequem. Sie will — so kündigt sie unentwegt an — die Verfahren beschleunigen, um die Häftlinge begnadigen zu können, wenn sie rechtskräftig verurteilt sind. Von den 360 politischen Gefangenen, die am 11. März 1990 einsaßen, befinden sich immer noch 83 im Kerker — nach Zählart der Regierung, Menschenrechtsorganisationen sprechen von 95.

Aufgrund der rechten Mehrheit im Senat muß sich Aylwin für jedes Gesetz mit den beiden Pinochet-freundlichen Parteien arrangieren, der Union des Demokratischen Zentrums (UDI) und der Nationalen Erneuerung (RN). Die Gefangenen glauben, daß die Christdemokraten nicht von der Ultrarechten erpreßt werden, wie diese gerne ihrer eigenen Basis weismachen, sondern daß sie ihre eigenen Interessen damit vertreten. „Die Regierung benutzt die Militärs als Schreckgespenst, sie droht: Seid brav und haltet euch mit Forderungen zurück, sondern hauen die Bösen wieder zu“, glaubt Rolando Cartagena, „sie selbst hat wenig unternommen, um unsere Freilassung zu beschleunigen.“

Den Ton aber geben die Rechten an, UDI und RN organisieren Demonstrationen und Kundgebungen. Bürgerfrauen ziehen mit Transparenten und Megaphonen vor die Moneda, um den „Schutz ihrer Kinder“ und „ein Ende der Gewalt“ zu fordern. Wie in Zeiten der Volksfront malen sie den Teufel an die Wand: Terrorismus und Gewaltkriminalität würden wieder auferstehen, wenn die „Subversiven“ wieder auf die Menschheit losgelassen werden.

Der Weg in die Freiheit ist zum Spießrutenlauf geworden: Der Gefangene kann, wenn sämtliche Verfahren rechtskräftig sind, den Präsidenten um Gnade bitten. Dann wird er auf seinen Geisteszustand untersucht. In schweren Fällen (Attentat auf Pinochet und Mord an Militärs oder Carabineros) gewährt die präsidiale Gnade nur die Umwandlung der Strafe in Exil, sprich: Ausbürgerung. Allerdings ist in diesen Fällen ein unerwartetes Hindernis aufgetaucht: Alle Visa der europäischen Staaten, die während der Diktatur angeboten worden waren, sind inzwischen „eingefroren“, wie Rolando Cartagna erfahren mußte. Das 36jährige MIR-Mitglied war wegen Banküberfall und Polizistentotschlag zum Tod verurteilt worden. Zehn Jahre hat er bereits abgesessen, auf seinen Antrag wurde er vor drei Monaten „begnadigt“, das heißt er muß noch zehn Jahre im Exil absitzen. Doch Schweden wollte ihn plötzlich nicht mehr aufnehmen. Ist der Andenstaat heute nicht wieder demokratisch? hieß es in Stockholm. Erst nach einem Hungerstreik Cartagenas und der Intervention der Aylwin-Regierung gaben die Skandinavier nach, der Gefangene reiste vor zwei Wochen gen Norden.

Viele seiner Freunde, unter ihnen Juan Diaz, läßt er im Carcel Publico zurück. Sie sitzen begnadigt auf ihren Koffern und warten auf irgendein Visum aus Europa. Sie hoffen, daß der Hungerstreik Druck auf die Regierung ausübt.