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Bigott oder bei Gott

■ Das Sputnik-Kino zeigt 16 Nonnen-Filme

In Nonnenfilmen läßt sich's ungehemmt Voyeur sein. Gesehen wird, was dem Alltagsblick entzogen bleibt. Was verbirgt sich zwischen düsteren Klostermauern? Hinter Schleiern? Wenn Frauen unter Frauen sind? Unter dem Titel »Schwesterlich, keusch und ohne Makel?« zeigt der Sputnik-Kino 16 Filme, in denen Ordensfrauen und kösterliches Ambiente die Hauptrollen spielen. Vom Klosterfrau-Klassiker bis zum Sexstreifchen und Experimentalfilm — die Zusammenstellung des Programms ermöglicht Einblick in das Genre und bietet Gelegenheit, der Faszination »Leinwand — Nonne« nachzuspüren.

Ausführlich wie kein anderer Film der Reihe bebildert »Geschichte einer Nonne« (Regie: Fred Zinnemann, 1959), wie eine Frau zur Braut Jesu wird: Eintritt ins Kloster, Kurzhaarschnitt, Tracht, Gelübde an Gelübde, Frauen, die Steinfußböden küssen, beten, singen und sich gelegentlich peitschen. Bis Gabrielle (Audrey Hepburn) schließlich den Goldring übergestreift bekommt und Schwester Lukas heißt.

Nonne sein, bedeutet, so der Film, Identität und Individualität aufzugeben, um Werkzeug Gottes zu werden. Eine gute Ordensfrau muß sich der rigiden Klosterordnung unterwerfen und nicht nur während des »großen Schweigens« schweigen. Sie muß sich in Disziplin und Demut üben, vor allem aber muß sie ihre Sexualiutät, jenes irdische Begehren in Keuschheit verwandeln.

Unberührbar, geschlechts- und identitätslos wird die Kino-Klosterfrau zum seltsam faszinierenden Wesen. Die Abstraktion des Nonnenkörpers bedingt seine Mystifikation und macht ihn zum Objekt der Spekulation und erotischen Phantasien — nicht nur im Film. »Geschichte einer Nonne« oder »Black Narcissus« (Regie: Michael Powell, 1947) weben die suspendierte Sexualität der Frau geschickt in die Bilder ein. Unfniforme Körper verlangen Nahaufnahmen. Schwester Clauda (Deborah Kerr) massiert genüßlich einen Bleistift und klimpert züchtig mit den sorgfältig getuschten Wimpern. Gesichter unter Schleiern blicken aufreizend in Kameras. Zungen befeuchten blutrote Lippen. Je näher desto obszöner.

Oft fällt der Kamerablick in Nonnenfilmen voyeuristisch durch vergitterte Fenster und undefinierbare Öffnungen. Feucht-dunkle Klosterzellen flackern in rötlichem Kerzenschein und formen uterale Höhlen. Trianguläre Bildkompositionen allerorten — manchmal erinnern sogar die aufklappenden Flügelhauben unaufdringlich an Schamlippen. Das Dreieck als häufigstes Motiv ist Vulva und göttliches Auge zugleich. Lust und Versuchung, Gesetz und Strafe sind hinter Klostermauern eben untrennbar.

Erst die Begegnung mit einem Mann konfrontiert die Ordensfrauen der frühen Nonnenfilme mit der eigenen (verdrängten) Weiblichkeit und Sexualität. Da die meisten Leinwand- Nonnen einem arbeitenden Orden angehören, haben sie Kontakt zur Außenwelt, sprich zum anderen Geschlecht. Ob durch Dr. Fortunati, »Genie und Teufel, Mann und Junggeselle«, in der afrikanischen Missonsstation (»Geschichte einer Nonne«) oder Mr. Dean im Himalaya (»Black Narcissus«) — das Zusammentreffen mit Ihm provoziert bei Ihr Gewissenskonflikte. Versuchung und Verbot prallen aufeinander, die Gesetzesübertretung bleibt aus.

Ab Mitte der sechziger Jahre müssen Leinwand-Nonnen ihre Sexualität nicht länger verstecken. Wie in »La Religieuse« (Regie: Jacques Rivette, 1965), wo Haar offen wallt und die lesbische Oberin (Lilo Pulver) Dekolletée trägt. Und doch muß Begehren unterdrückt und mit Wahnsinn bestraft werden.

Sex dürfen Nonnen zunächst nur in Sexfilmen haben. Der Schleier lüftet sich und gibt den Blick frei auf (Männer-)Phantasien von der sexuell ausgehungerten Frau hinter Klostermauern. »Ich könnte mir vorstellen, daß so eine Haubenlerche durch die erzwungene Abstinenz recht vulkanös ist«, sagt Diego im schmuddeligen Soft- Porno »Der Nonnenspiegel« (Regie: Domenico Paolella, 1973). Das Verbotene hat seinen ganz eigenen Reiz und ist doch nicht länger verboten. Was sich unter der Kutte verbirgt, kommt ans Tageslicht. »Ich bin eine Frau wie jede andere«, sagt Elisabetha, bisexuelle femme fatale des Klosters, zu Diego, bevor sie sich entschleiert und zwecks blow job abtaucht.

Nonnen-Sexfilme greifen Elemente der frühen Nonnenfilme auf und benutzen sie für ihre Zwecke. Stimulation als banales Nahziel. Das An- und Ablegen der Tracht gerät zum Striptease-Akt, und entblößte Haut kann auf die Leinwand drängen. Wollüstige Blicke der Mitschwestern sorgen für wollüstige Atmosphäre. Selbstkasteiung per Peitsche kreiert Sado-Maso-Kitzel. »Erzähl mir von den Zärtlichkeiten unter euch Frauen«, fordert Diego von Elisabetha. »Wir streicheln uns..., wir küssen uns«, antwortet sie, während er mit dem Messer die Kutte aufschlitzt.

Offenherzige Sexszenen gibt es im »Nonnenspiegel« nur zwischen Mann und Frau. Lesbische Liebe und Sexualität, Leerstelle der meisten Nonnenfilme, wird in »Extra Muros« (Regie: Miguel Picazo, 1986) nicht nur angedeutet, sondern auch gezeigt. Das Kloster erscheint als düster-klaustrophobischer Freiraum, den Frauen wählen, um miteinander zu leben. Über die Beziehung der Nonnen Angela (Carmen Maura) und Ana (Mercedes Sampietro) entsteht ein kompliziertes Gespinst aus Begehren und Verbot, Ritual und Katholizismus, Sadismus, Masochismus und Liebe.

»Extra Muros« ist sicher einer der komplexesten Filme der Reihe — und der Film, bei dem es am schwersten fällt, voyeuristisch sein. Der Mythos vom »verwerflichen« Zusammenleben der Frauen wird entlarvt. Hinter Klostermauern herrscht das Gesetz des alltäglichen Lebens. Der gelüftete klösterliche Schleier erscheint nicht schlüpfriger als manche Wohnzimmergardine. Michaela Lechner

Bis zum 20.11. täglich drei verschiedene Filme im Sputnik, Reinickendorfer Str. 113, 1/65, Tel.: 4658769. Einige Filme sind nur für Frauen.

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