: Bürgerkrieg wird UN-Problem
■ Das Scheitern der bisherigen Jugoslawien-Politik der EG und die veränderte Haltung der USA eröffnen jetzt die Option einer Entsendung von UN-Friedenstruppen
Mit dem Auftrag der EG-Außenminister, die Stationierung von Friedenstruppen zu prüfen und gegebenenfalls vorzubereiten, flog Lord Carrington gestern morgen nach Belgrad. Der allgemein formulierte Auftrag kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß tatsächlich — wenn überhaupt — nur eine Option zur Verfügung steht: die Entsendung einer UNO-Friedenstruppe. In den zahlreichen Jugoslawien-Beratungen der letzten Monate wurde zwar immer wieder die Variante ins Spiel gebracht, Truppen unter dem Kommando der EG, WEU oder gar KSZE zu entsenden. Dies geschah vor allem, weil einige EG-Mitglieder am Fall Jugoslawien die Fähigkeit zu eigenständiger (west)europäischer Sicherheitspolitik demonstrieren wollten. Tatsächlich war diese Variante aus einer Reihe politischer, historischer und ganz handfest praktischer Gründe zu keinem Zeitpunkt eine realistische. Daß mit ihrer Erörterung kostbare Zeit vertan wurde, in der das Blutvergießen ungehindert weitergehen konnte, wird die EG zwar nicht offen eingestehen. Doch die Erklärung, mit der Hans-Dietrich Genscher im niederländischen Noordwijk den Antrag der EG-Außenministerkonferenz zur Einberufung des UNO-Sicherheitsrates begründete, war deutlich: Allein der Sicherheitsrat sei „das geeignete Organ mit den notwendigen Befugnissen zum Eingreifen in Jugoslawien“.
Zu dieser späten Erkenntnis der EG hat neben dem kläglichen Scheitern der eigenen Jugoslawien-Politik auch die veränderte Haltung der USA beigetragen. Spätestens beim Nato-Gipfel in Rom rückten Bush und Baker von ihrer bisherigen Haltung ab, wonach der Jugoslawien- Konflikt in den Bereich der allein von den Europäern zu regelnden Angelegenheiten gehöre. Damit war klar, daß Washington gegen einen Antrag der EG-Mitgliedsstaaten im Sicherheitsrat auf Entsendung von Friedenstruppen zumindest kein Veto einlegen wird. Der Gipfel in Rom machte auch deutlich, daß die Nato selber als direktes oder indirektes Instrument zum Eingreifen (noch) nicht ernsthaft in Frage kommt. Und der Antrag Washingtons und Londons, die Nato solle sich durch „Bereitstellung von Infrastruktur, Logistik und Aufklärungserkenntnissen“ für künftige UNO-Einsätze „out of area“ engagieren, fand in Rom noch nicht die Zustimmung aller Bündnispartner.
Den letzten Anstoß für den EG- Antrag zur Einberufung des UNO- Sicherheitsrats gab allerdings die Forderung sowohl der Serben wie der Kroaten nach Entsendung von UNO-Friedenstruppen. Allerdings will Kroatien die Stationierung der Blauhelme entlang der bislang gültigen Grenzen, Serbien hingegen möchte mit der Stationierung von UNO-Soldaten zwischen den serbischen und kroatischen Truppen seine bisherigen Gebietsgewinne absichern. Angesichts dieser gegensätzlichen Vorstellungen kann nicht die Rede davon sein, daß die — völkerrechtlich notwendige — Zustimmung beider Konfliktparteien für einen Sicherheitsrat-Beschluß zur Entsendung von UNO-Friedenstruppen vorläge. Neben der Zustimmung aller Konfliktparteien macht die UNO- Charta auch einen Waffenstillstand zur Voraussetzung. Die Tatsache, daß es sich beim Bürgerkrieg nicht um einen zwischenstaatlichen, sondern — jedenfalls zumindest bis zu einer völkerrechtlichen Anerkennung Kroatiens — um einen innerstaatlichen Konflikt handelt, gilt unter UNO-Experten nicht als Hindernis. Mit der Entsendung von UNO- Friedenstruppen Anfang der 60er Jahre in den Bürgerkrieg im Kongo (dem heutigen Zaire) hat die UNO hier bereits einen Präzedenzfall geschaffen. Als offen gilt allerdings noch, ob ein entsprechender Antrag im Sicherheitsrat überhaupt die notwendige Mehrheit erhält bzw. nicht am Veto eines oder mehrerer ständiger Mitglieder scheitert. Jugoslawien hat immer noch eine starke Stellung unter den UNO-Mitgliedsstaaten. Gegen eine Entsendung von UNO-Truppen könnten im Sicherheitsrat Simbabwe und andere Drittweltstaaten votieren. Und wie sich die ständigen Mitglieder China sowie die Sowjetunion mit ihren starken Verbindungen zu Serbien verhalten werden, ist ebenfalls noch offen. Andreas Zumach
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