: KOSLOWSKIS GITTA PLAUDERT VOM SOFA
I hab' jetzt zu Schaller gesagt, daß ich, obwohl ich ihn für'n netten Kerl halte, daß ich das nicht mehr lange mitmache. Jeden Tag müssen wir über diese gesamtdeutsche Scheiße reden — als wenn es nicht noch andere Probleme auf der Welt gäbe, mal ganz abgesehen von den Nettigkeiten, die das Leben doch trotzdem auch noch zu bieten hat. Keine Fernsehsendung ist den Ostlern — die man übrigens neuerdings daran erkennen kann, daß sie vornehmlich ganz in Schwarz gekleidet sind und jetzt alle wie zornige junge Theaterregisseure aussehen —, keine Show ist ihnen zu blöd, um dort zum Entertainment der Westdeutschen ihre Opfer- und Verräternummern abzuziehen. Vor allen Dingen nervt mich diese Inflation von doofen Wörtern, wie „Staat“, „Herrschaftswissen“ und „IM“, die jetzt dauernd auf uns niederprasseln. Schaller meint, ich könnte das nur nicht ertragen, weil es mich an meine eigene Vergangenheit erinnere, wo ich mit meinen linken Freunden genau so dumm dahergeschwätzt hätte. „Geschenkt“, winke ich ab, „daß ihr uns insgesamt an uns selbst erinnert und wir immer sehen müssen, wie blöd und kleinkariert wir tatsächlich sind, das weiß ja nun mittlerweile jeder. Viel schlimmer ist doch, daß es euch nicht furchtbar peinlich ist, wie ihr euch von den ,interessierten‘ Westlern vorführen laßt.“ „Ach“, höhnt Schaller zurück, „und daß sich eure Leute nicht zu doof sind, so eine Pseudoverantwortlichkeit zu demonstrieren, wenn sie sich frömmelnd darüber Sorgen machen, daß es vielleicht Selbstmorde geben könnte, wenn alle Leute Einsicht in die Akten kriegen, das findest du wohl nicht peinlich?!“ Da mußte ich ihm natürlich recht geben, auch wenn man das mit den drohenden Selbstmorden nicht zu hoch hängen sollte — als die Adressen veröffentlicht wurden, hat man genauso getönt, und nichts ist passiert. „Aber die, die beim Fernsehen arbeiten, sind doch sowieso doof“, versuche ich mich zu retten, „wir sind doch nur so enttäuscht darüber, daß ihr so überhaupt nicht ein kleines bißchen schlauer seid als wir, obwohl ihr doch quasi mit unseren Helden groß geworden seid, das ist doch die ganze Crux, die keiner sehen will, daß es UNS in Wirklichkeit ganz schlecht geht, daß wir diejenigen sind, die 40 Jahre an das Falsche geglaubt haben und betrogen wurden!“ Da war mein Schaller ja wirklich verblüfft und konnte erst mal gar nichts antworten. Aber dann war er sehr lieb zu mir und hat versprochen, daß er mir helfen und alles erklären will, und angefangen hat er mit Simone Weils Exposé der Verpflichtungen, wo es heißt: „Die Bedürfnisse eines menschlichen Wesens sind heilig. Ihre Befriedigung kann weder dem Staatsinteresse untergeordnet werden noch irgendeiner anderen Erwägung, sei es eine des Geldes, der Nation, der Rasse oder der Farbe, noch dem sittlichen und sonstigen Wert. Die einzige legitime Schranke ist jene, welche die Notwendigkeit und Bedürfnisse der übrigen menschlichen Wesen setzen. Diese Schranke besteht nur dann zu Recht, wenn allen Bedürfnissen der gleiche Grad von Aufmerksamkeit zuteil wird.“
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