: Weltsprache Afrikanisch
Chinua Achebes aktueller Roman über Nigeria ■ Von Joachim Sartorius
Mit Termitenhügel in der Savanne hat Chinua Achebe ein mehr als 20jähriges Schweigen als Romanschriftsteller gebrochen. Das kommt einer Sensation gleich. Denn er gilt als wichtigster Romancier Nigerias, wenn nicht ganz „Schwarzafrikas“. Dieser weltweite Ruhm gründet auf einer Sequenz von vier Romanen, die zwischen 1958 und 1966 erschienen sind. Die ersten drei Romane (Okonkwo oder das Alte stürzt, 1958; Obi, 1960; Der Pfeil Gottes, 1964) befassen sich mit der Kolonialzeit, dem Zusammentreffen von Europa und Afrika und der Auflösung der kulturellen, religiösen und politischen Traditionen seines Volkes, der Ibo, unter dem Einfluß der britischen Kolonisation. In seinem vierten Roman, Ein Mann des Volkes (1966), widmete sich Achebe dem zeitgenössischen Nigeria der sechziger Jahre. Der Roman brachte Achebe den Ruf der Hellsicht ein, denn im Monat des Erscheinens, im Januar 1966, gab es tatsächlich den von ihm am Ende des Buches vorausgesagten Militärputsch.
Zwei Qualitäten stechen an diesem Romanzyklus besonders hervor: das Engagement des Autors um die Wiedergewinnung einer afrikanischen, durch die Kolonisierung weitgehend zerstörten Würde (ohne daß er je der naheliegenden Versuchung einer manichäischen Schwarzweißmalerei der Kolonialzeit erläge) und seine spezifische Kunst, eine Weltsprache — das Englische — durch Simulierung der einheimischen Sprache im Dialog und durch Übernahme von Metaphern aus afrikanischen Traditionen so zu handhaben, daß es für viele Schriftsteller in Afrika im „Sprachenstreit“, einem zentralen Problem in der Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus, zum Vorbild geworden ist. Er gilt zu Recht als der Begründer einer eigenständigen „afrikanischen Literatur“.
Die Termitenhügel in der Savanne lesen sich wie eine Fortsetzung dieser Tetralogie. Der Roman spielt in den achtziger Jahren in einem afrikanischen Staat, Kagan genannt, der Nigeria, aber auch jedes andere westafrikanische Land sein könnte. Macht hat die Ideale korrumpiert, Staatsterror auch die Mutigsten zum Schweigen gebracht. Allein Schmeichler und Lakaien haben eine Überlebenschance. Im Zentrum des Geschehens stehen drei ehemalige Freunde: Sam, ein junger, in Sandhurst ausgebildeter Offizier, den ein Militärputsch vor zwei Jahren an die Macht gebracht hat; Chris Oriko, ein Kamerad aus der Schulzeit, jetzt „Commissioner for Information“ in dessen Kabinett; und Ikem Osodi, Schriftsteller und Herausgeber der ,National Gazette‘, der glaubt, mit seinen Leitartikeln in dem schmalen, noch verbliebenen Freiheitsraum den Jugendfreund beeinflussen zu können und ihn von seiner Entwicklung zu einem weiteren skrupellosen Diktator abbringen zu können.
Der Roman setzt ein, nachdem eine Volksabstimmung mit dem Ziel, den Präsidenten zum Staatschef auf Lebenszeit zu machen, fehlgeschlagen ist. Der Fehlschlag hat „Seine Exzellenz“ verbittert, sein Mißtrauen ist groß. Mehr und mehr verläßt er sich auf seinen Sicherheitschef, um gegen seine Freunde vorzugehen, denen er mangelnde Loyalität vorwirft. Oriko trägt, als Propagandaminister, in seinen Augen die Schuld am Ergebnis des Referendums. Die von der Dürre heimgesuchte Provinz Bassa im Norden, dessen berühmtester Bürger Osodi ist, hat vor allem gegen den Präsidenten gestimmt. Die Tage der beiden sind gezählt. Ikem Osodi stirbt, nach einer friedlichen Demonstration einer Delegation aus Bassa, in einem Hinterhalt. Chris Oriko wird auf der Flucht in den Norden von einem betrunkenen Soldaten erschossen, als sich die Nachricht verbreitet, der Präsident sei gestürzt worden.
Auch in den früheren Romanen Achebes enden die Helden tragisch, doch übertrifft dieses Buch seine Vorgänger an sarkastischer Ernüchterung, an Wut und an Hoffnungslosigkeit. Daß Elena, Tochter einer Marktfrau und Geliebte Osodis, als einzige der Hauptfiguren aus dem gemeinsamen Leid „etwas Lebendiges und Strampelndes“ zur Welt bringt, und daß bei der Taufe sie und Beatrice, die intellektuelle Freundin Orikos, Freundschaft schließen, kann allenfalls als Hoffnung des Autors in die Zukunft gedeutet werden.
In dieses Werk sind zweiundzwanzig Jahre harscher politischer Erfahrung (Achebe, der auf seiten Biafras kämpfte, war immer wieder von Nigeria exiliert), selbstkritischer intellektueller Entwicklung und immer größerer und disziplinierter Schreibkunst eingeflossen. Achebe ist seiner Thematik vollkommen gewachsen. In meinen Augen ist es — neben V.S. Naipauls Die Biegung des großen Flusses — der Roman, der uns das genaueste und tiefste Bild des modernen „Schwarzafrikas“ vermittelt. Das Drama der drei Freunde, das nach einer Reihe von Konfrontationen in ihrer aller Tod endet, erfährt durch eine Fülle weiterer Figuren eine reiche Orchestrierung. Diese Figuren mit ihrer jeweils eigenen Welt kommen durch Achebes differenzierten Gebrauch der Sprache zum Leben. Die in Europa ausgebildete Beatrice spricht anders als der Brite Mad Medico, letztes Fossil der Kolonialzeit, und wiederum anders als ein Dorfbewohner. Dies hat die Übersetzerin Susanne Köhler vor große Probleme gestellt, die sie durchweg meistert.
Verschiedene Sprachgebräuche und verschiedene Blickwinkel drücken den gleichen Ereignissen ihren Stempel auf. Das Lachen, das uns bei Idi Amins Medaillen oder Bokassas Kaiseruniform befallen hat und uns jetzt bei Achebes bitterer Satire befallen will, bleibt im Halse stecken, wenn die Greuel der Potentaten und der Reichen aufgedeckt werden. Nadine Gordimer, die den Roman in der 'New York Times Book Review‘ enthusiastisch begrüßt hat, nennt Achebe „einen Moralisten und Idealisten“, der „sich jedoch selbst nur selten erlaubt, ein Wort einzuwerfen; diese Standpunkte sind auf vollendete Weise in seine Figuren integriert“.
Die zentrale Figur des Moralisten Achebe wird einmal von Beatrice gestellt. Sie denkt, gegen Ende des Romans, über Chris und Ikem nach, die beide einen gewaltsamen Tod gefunden haben: „Waren sie nicht eigentlich gestrandete Passagiere gewesen, deren Reisen von Anfang bis Ende von einer entfremdeten Geschichte sorgfältig im voraus programmiert worden waren? Und falls das stimmt, wieviel mehr dem Untergang geweihte Passagiere waren bereits im Transit oder kurz vor dem Abflug, mit Gesichtern, die von den Illusionen des Duty-free und der glücklichen Landungen leuchteten?“ Und dann fragt sie, fragt uns Achebe: „Was muß ein Volk tun, um eine verbitterte Geschichte zu befrieden?“
Chinua Achebe: Termitenhügel in der Savanne .
Deutsch von Susanne Köhler. Edition Suhrkamp, 260 Seiten, 16 DM.
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