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„Lieber Däne oder Schwede“

ATP-Masters: Nach seiner 6:7, 3:6-Niederlage gegen Boris Becker möchte Michael Stich am liebsten auswandern/ Sampras schlug Agassi mit 6:3, 1:6, 3:6/ Ivan Lendl ungeschlagen ins Halbfinale  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) — Michael Stich aus Elmshorn ist „frustriert“. Da hat er jahrelang brav seine Köllnflocken aufgegessen und die Bi-Ba- Butzemannbilder gesammelt, ist dabei groß und stark geworden und hat in Wimbledon (GB) das Tennisturnier aller Tennisturniere gewonnen — gegen Boris Becker und für seine deutsche Heimat. Dieser Sieg katapultierte den großen Schlanken mit dem krummen Rücken aus der Tiefe der Weltrangliste unter die Top-Ten der ATP-Computercharts.

Doch Undank ist der gesamtdeutschen Welt Lohn: Von den achteinhalbtausend Zuschauern in der Frankfurter Festhalle, so Stich, hätten achttausend eben diesen „Bobbele“ Becker angefeuert: „Das war kein gutes Gefühl für mich — als Deutscher“ (Stich). „Däne oder Schwede“ möchte das Nordlicht werden, denn „in Deutschland werde ich offenbar erst dann akzeptiert, wenn Boris aufhört Tennis zu spielen“.

Daß er den vermeintlichen Liebesentzug des Publikums schon auf dem Court mit wütenden Schlägerattacken gegen den himmelblauen „carpet“ und seine Sporttasche kommentierte, daß selbst der einsame Zwischenruf: „Boris! Mach' ihn fertig!“ den 23jährigen zusammenzucken ließ — das alles legt offen, daß Stich bei diesem, von den Medien zur „Rache für Wimbledon“ hochgepushten Vorrundenfight gegen Becker am Donnerstag abend vorher besser seinen Psychiater konsultiert hätte als den Fitneßcoach: ab auf die Couch.

Denn tatsächlich war das Metropolenpublikum in der Festhalle nicht unfair. Gelungene Aktionen des Senkrechtstarters der abgelaufenen Saison wurden ordentlich mit Beifall bedacht — auch wenn der bei Beckers Kabinettstückchen lauter ausfiel. „Vielleicht lieben sie meinen Mund oder meine Augen“, sinnierte der gutgelaunte B.B. nach dem Match, das er letztendlich souverän in zwei Sätzen (7:6 und 6:3) für sich entscheiden konnte. Daß Stich vorher den Journalisten erklärt hatte, daß er und Boris „eigentlich gleich gut“ seien und „nur die Tagesform“ das Spiel entschieden habe, brachte den achtmaligen ATP-Weltmeisterschaftsteilnehmer „zum Schmunzeln“. Heute, so Becker gelassen, sei „nicht der Tag der Worte, sondern der Tag der Taten“ gewesen — „und das war bestimmt kein Tag für Michael Stich.“ Und das Verhalten des Publikums? Becker: „Ich hab's genossen.“

Dabei startete er mit einem Doppelfehler und vergeigte im vierten Spiel gleich vier Breakchancen. Da spielte Stich noch wunderbare Returns und Becker hatte Probleme mit seiner Rückhand. Dennoch konnte sich Stich in keiner Phase des ersten Satzes eine echte Breakchance erspielen. Im Tie-break ging dann der Elmshorner, der als Spezialist gilt (24 gewonnenen Tie-breaks in diesem Jahr), mit fliegenden Fahnen unter. Mit 7:1 gewann Becker — und spielte danach im zweiten Satz grandios auf: Becker: „Jetzt schlage ich Sampras in zwei Sätzen und bin im Halbfinale.“

Bis dahin hatte der smarte US-Boy bei diesen Weltmeisterschaften allerdings noch kein Match verloren. Im Auftaktspiel des dritten Tages schlug Pete Sampras den Becker- Bezwinger Andre Agassi mit 6:3, 1:6 und 6:3 — wahrlich kein gutes Omen für den Deutschen. Der Mann, „den sich alle amerikanischen Mütter zum Schwiegersohn wünschen“ (ATP-Programmheft), ist der König der Asse. Immer dann, wenn „Little Pete“ von dem bissig spielenden „Dogfighter“ Agassi in die Enge gedrängt wurde, befreite er sich mit einem oder gleich zwei Assen aus der haarigen Situation.

„Strange“ spiele der Pete, meinte denn auch Cowboy Agassi, der neidlos konstatierte, daß Sampras „in den entscheidenden Situationen einen Tick besser“ gewesen sei. „Ich bin stärker als je zuvor“, sagte Sampras — und der braungebrannte 20jährige aus Rancho Palos Verdes/Florida lächelt dabei wie die Unschuld vom Lande. Seine Kraft, so Sampras weiter, habe er aus einem „guten Sommer“ geschöpft — „der in einen guten Herbst mündete“. Und deshalb gehe er hier in Frankfurt „volles Risiko“.

In der John-Newcombe-Gruppe hatten nach dem Sieg von Sampras über Agassi noch drei Spieler die Chance, in das Halbfinale vorzustoßen, nur Stich war schon draußen. Klarer waren die Verhältnisse in der Ilie-Nastase-Gruppe. Problemlos verabschiedete Ivan Lendl seinen Landsmann Karel Novacek aus dem Turnier (6:2, 6:2) und steht damit ungeschlagen im Halbfinale. Jimmy Courier und Guy Forget, die beide Novacek schlugen und gegen Lendl das Nachsehen hatten, trafen deshalb gestern — nach Redaktionsschluß — zu einem echten Vorrundenfinale aufeinander. Der Sieger der Partie steht im Halbfinale, der Looser kann nach Hause fliegen — entweder zur Vorbreitung auf den Davis-Cup (Forget) oder nach Florida „on the beach“ (Courier).

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