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Trainingslager des Alltags

■ Was ist los? 18. November, West3, 22.30 Uhr

Ein Stapel kleiner Kunststoffscheiben auf grünem Filz. Eine Hand, die sich bemüht, sie elegant in einer Reihe auszurichten, um sie dann mit lässigem Schwung wieder aufzuschichten. Wieder und wieder dieselbe Bewegung, aber das Kunststück will nicht gelingen. Mehrere Polizeiwagen vor einer Sparkasse. Hinter einem Mauervorsprung kauern Männer mit Gewehren. Als ein Vermummter, eine Frau vor sich herschiebend, das Gebäude verläßt, stürzen die Männer vor und feuern. Auch als der Mann längst am Boden liegt, gibt einer noch drei Schüsse auf ihn ab. Im Kino nebenan läuft gerade Die letzte Schlacht.

Drei Szenen aus dem neuen Dokumentarfilm von Harun Farocki. Die erste ein Einblick in die Ausbildung von Nachwuchs-Croupiers, die zweite ein Ausschnitt aus einem Schweizer Unterrichtsfilm für Industriearbeiter aus dem fünfziger Jahren, die dritte ein Film über den Ausgang eines authentischen Banküberfalls mit Geiselnahme, der von der Polizei später zu Schulungszwecken eingesetzt wurde. Drei Szenen, in beziehungsweise mit denen die Optimierung menschlicher Bewegungsabläufe geübt wird, und seltsamerweise ist immer Geld im Spiel.

Doch Was ist los? ist kein dröger Lehrfilm über die „Rationalisierung der Körper im Interesse des Kapitals“, sondern eine Geisterbahnfahrt durch des Alltags ganz normalen Wahnsinn. Mit viel Montagewitz fügt Farocki disparate Momentaufnahmen des Lebenstrainings aneinander, beobachtet, wie Hotelfachschüler aus der Ex-DDR gebannt die Sprechblasen eines Marketing-Heinis in sich aufsaugen, oder lauscht, wie maschinenförmig eine menschliche Stimme klingen muß, damit sie ein Computer versteht. Ein irritierendes Kuriositätenkabinett, bei dem man nie weiß, ob man nun lachen oder weinen soll. Denn statt all diese Bilder in wohlgeordnete Schublädchen der kritischen Erkenntnis zu sortieren und zu erklären, verzichtet Farocki auf jeden wissenden Kommentar. Nur wer sich schon mal gefragt hat, ob bei den sprechenden Geldautomaten wirklich alles vollautomatisch zugeht oder dahinter nicht doch ein strafversetzter Bankangestellter Automat spielt, wird gleich zu Beginn des Films aufgeklärt. Reinhard Lüke

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