: Halblegal oder professionell?
■ »Der Streit der Geschlechter« und die Arbeit der Gruppe »Reißverschluß«
Die Berlin-Kultur wird zukünftig in unregelmäßiger Folge Berliner Theater vorstellen, insbesondere solche, die im allgemeinen weniger Aufmerksamkeit finden. Die nächste Folge wird dem Kindertheater gewidmet sein.
Daß der Spaß an einer Theatervorstellung nicht unbedingt vom gespielten Stück abhängt, wird einem immer mal wieder in Verhunzungen schöner Werke klargemacht. Wie ein eher schwacher Text durch Inszenierung auch gewinnen kann, zeigt die Gruppe »Reißverschluß« am »Theater unterm Dach« mit ihrem Streit der Geschlechter nach Pierre Carlet de Marivaux.
Menschenliebe und allzu menschliche Triebe kommen zum Vorschein, als ein aufgeklärter Absolutist im Machbarkeitswahn an Jugendlichen testen will: Welches Geschlecht hat die Untreue in die Welt respektive in die Liebe gebracht?
Die Adaption von Joachim Stargard legt den Akzent auf die vielfältigen, widersprüchlichen Regungen, die zwischen Mann und Mann oder/ und Mann und Frau denkbar sind, während unter Frauen offenbar nur Zwietracht und Eifersucht möglich sind. Der Text würde langatmig wirken, wenn Stargard nicht mit viel Witz im Detail, manchmal auch mit Wortwitz inszeniert hätte. Das schauspielerische Können und besonders die Sprache der DarstellerInnen liegt über dem durchschnittlichen Niveau der freien Berliner Theater. Insbesondere schöpfen Petra Staschill als Eglé und Robert Schulz als Azor die Möglichkeiten ihrer profilierten Rollen aus.
Kontinuierlich gelingt es den SchauspielerInnen, durch Körpersprache und Mimik Bilder zu erzeugen, die den Text nur als Untermalung oder Kontrapunkt benötigen. Männerrollen, Frauenrollen, Hackordnung und Unterwerfung unter Konventionen sind genau beobachtet und zerlegt worden, um auf der Bühne in variierenden Ensembles zusammengebaut zu werden. Obwohl die Figuren stark gezeichnet bis überzeichnet wirken, gleitet die Aufführung nicht ins Klamottenhafte ab.
Die Gruppe »Reißverschluß« entstand 1983 in Ost-Berlin aus einem Aerobic-Zirkel. Sie arbeitete sechs Jahre im Spannungsfeld zwischen Halblegalität und dem Ziel der Professionalität, zog dabei vielversprechende Neulinge wie Daniel Morgenroth an. Nach dem Umbruch 1989 hatte »Reißverschluß« auch Auftritte in Spanien und England. Solche professionelle und engagierte Theatergruppen sucht Liane Düsterhoft, Leiterin des »Theater unterm Dach« (TuD) am Ernst-Thälmann- Park. Zur Zeit zählt sie nur eine Handvoll reifer Gruppen in Ost-Berlin: »Es tut mir weh, aber ich muß viele Gruppen erst mal ablehnen. Sie sind ungeduldig, zu Recht. Viele brauchen aber noch Zeit zu lernen.«
Fraglich, ob diese Zeit in dem Maß zur Verfügung steht wie vor 1989. Auch das TuD wuchs damals langsam, wenn auch von Anfang an mit dem Anspruch der Professionalität. Ursprünglich als Kiez-Theater für die umgebende Neubausiedlung gedacht, lockte das TuD nicht die ignoranten Nachbarn, sondern wurde 1986/87 zu einer Spielstätte, die Alternativen zu den städtischen, etablierten Theatern bot. Vera Hertzberg und andere, die am Stadttheater zeitweise nicht arbeiten konnten oder wollten, fanden sich nach und nach ein. Vor 1989 gab es, natürlich, die Allgegenwart staatlicher Kontrolle. Dafür war die staatliche Finanzierung, gemessen an heutigen Zuwendungen, relativ großzügig. Sie gab dem Ehrgeiz der Leiterin die materielle Basis: über die vom Staat gesetzte Grenze hinauszuwachsen, mehr zu sein als eine Feierabendbeschäftigung für Laien. Heute, inmitten der unüberschaubaren Konkurrenz der Angebote in Ganz-Berlin, zahlt sich dieser Ehrgeiz aus.
Was verloren ging in der neuen Zeit, sind Gespräche nach den Aufführungen, mit der Friseuse, der Stenotypistin, die ihr Erlebnis, ihr Stückchen Leben einbrachten. Theater, und damit auch das TuD, hat nicht mehr die Ventilfunktion von einst für Darsteller wie Zuschauer. »Viele meinen, heute stehe die Unterhaltung im Vordergrund, im Sinne von: sich auf die Schenkel klatschen.«
Liane Düsterhoft möchte zwar unterhalten, dabei aber nicht auf inhaltliche Auseinandersetzung verzichten. Sie möchte nur eines ausklammern: die Nabelschau des Selbstmitleids und der Selbstbezogenheit mancher Ostdeutschen, die am Tag ihrer Umsetzung auf der Bühne schon überholt ist. Anders herum: »Die Zeit schreit danach, wieder zum Denken anzuregen.« Konstantin Breyer
Streit der Geschlechter am 19. und 20.11. um 20 Uhr im »Theater unter Dach«, Dimitroffstraße 101, 1055 Berlin.
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