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Schöne aus der Seine

■ Bizarre Poesie — Arbeiten des Fluxus-Künstlers Daniel Spoerri

Fossilien sterben — wenn überhaupt — langsam. »Mit dieser Ausstellung hat Daniel Spoerri Anteil am Ableben der Galerien und Museen«, frohlockte 1965 dessen Künstlerfreund Allan Kaprow anläßlich der »Eröffnung« von Spoerris unverändert belassenem Zimmer im New Yorker Chelsea Hotel. Aber auch Spoerri wurde von der Realität des Marktes eingeholt. Sechs Jahr später hatte der in Rumänien geborene Schweizer seine erste große Retrospketive im Amsterdamer Stedelijik Museum. Es schloß sich eine lange Reihe von Einzel- und Gruppenausstellungen an. 1990 stellte das Centre Pompidou in Paris eine Retrospektive des 61jährigen zusammen, die durch mehrere europäische Metropolen wanderte.

Dennoch sind gerade bei Künstlern wie Spoerri Kunst und Kunstmarkt zwei ganz unterschiedliche Dinge. Der Markt ernährt, die Kunst bereichert. Spoerri gehörte Anfang der sechziger Jahre zu einer internationalen, miteinander lose in Verbindung stehenden Gruppe von jungen Künstlern, die als Gegenbewegung zur exklusiven Innerlichkeit des herrschenden Informel unter dem Namen »Fluxus« bekannt wurde. Ihre Mitglieder, darunter Beuys, Warhol, Christo, Nam June Paik, Yves Klein und Tinguely , hatten sich als Ziel gesetzt, ihre alltägliche Umgebung zum Ausgangspunkt ihrer medienübergreifenden Kunst zu machen. Sie sprengten funktionale Grenzen und brachen ästhetisch mit Konventionen, um von dort aus den Alltag zumindest etwas zu verändern. Die Künstler stellten Objektassemblagen und Bilder aus, für die sie ausrangierte Massenwaren benutzten. Sie veranstalteten Happenings, bei denen Geigen als Schlaginstrumente verwendet wurden, und veröffentlichten scheinbar sinnlose Wortreihen, Gedichte konkreter Poesie. In spielerisch entlarvender Form sollte damit der Blick des Kunstbetrachters auf seine direkte Umwelt und sein latent vorhandenes kreatives Potential gelenkt werden. So legte Fluxus den Grundstein für eine Entwicklung, deren Ende noch immer nicht abzusehen ist, obwohl diese Kunstrichtung längst in den Archiven der Historiker geführt wird und eine renommierte Kunstzeitschrift ihr jüngst einen »Nachruf zu Lebzeiten« widmete.

Spoerri, der in seiner Laufbahn Buchhändler, Mönch, Ballettänzer, Theater- und Ausstellungsmacher gewesen war, Objekt-Tauschbörsen veranstaltete und seit 1983 an der Münchener Akademie lehrt, klebte damals zufällig nach einem Essen auf dem Tisch liegende Gegenstände an der Platte fest und hängte die Reste des Gelages als Bild an die Wand. Das Resultat nannte er »Fallenbild«. Diesem Arbeitsprinzip ist er bis heute treu geblieben, wenngleich der Zufall dem Arrangement weichen mußte.

In der »Galerie Raab« ist derzeit eine 1991 entstandene Serie von Arbeiten zu sehen, deren Bestandteile von den Pariser Flohmärkten stammen — Spoerri montierte Tierschädel und Teile menschlicher Figuren, Puppen, Pferdesättel, die verschiedensten metallenen Gerätschaften und alte Möbel auf großformatige Holzplatten. Spoerri »malt« mit den Gegenständen. Er ordnete sie nach einer bestimmten, bedeutungsstiftenden Komposition. So entstanden wuchtig wirkende Objektbilder, bei denen der Künstler genau auf das erzählerische Potential der Einzelteile achtete.

Die Arbeit Inconnue de la Seine beispielsweise ist nach der Büste einer angeblichen Selbstmörderin benannt, die man zu Ende des letzten Jahrhunderts aus der Seine gefischt hatte und deren Abbild ein sentimentaler Verkaufsschlager wurde. Auf dem Gesicht der schönen, einfach gekleideten Unbekannten (man vermutet Freitod wegen Liebeskummers) lag ein solch hintergründig sanftes Lächeln, als ob die junge Frau die ihr zustehende, im Leben aber versagt gebliebene Befriedigung doch noch, angesichts des Todes, erfahren hätte.

Spoerri näherte sich diesem Problem [welchem problem? sezza] mit dem ihm eigenen Humor. Er läßt einen Hammer von oben auf den Totenkopf schlagen und stellte eine schiefe Gasfunzel dazu. Darunter hat er Unmengen von rostigen Ketten und länglichen Eisenwerkzeugen befestigt — wie um keinen Zweifel darüber entstehen zu lassen, auf welche Art das Mädchen aus dem Wasser gezogen worden war, ehe es als rührselige Ikone wieder auferstand.

Andere Arbeiten heißen Der Chef, Die Frau des Chefs oder Dier Schildkröte. Sie leben von der Spannung zwischen der Wiedererkennbarkeit der banalen Versatzstücke und der neu entstandenen Summe der Einzelteile, die voll bizarrer Poesie ist. Wesen aus einer fremden, nur flüchtig vertrauten Welt treten einem entgegen. Damit reißt Spoerri zwar keine Galeriewand ein, die Wirksamkeit seiner »Corps en Morceaux« aber hat dennoch etwas Unbändiges, etwas, das sich nach Verlassen der Museentempel nicht so leicht abschütteln läßt. Ulrich Clewing

Raab Galerie Berlin, Potsdamer Straße 58, Berlin 30, bis 4. Januar 1992.

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