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Die Wüste lebt

Joshua Sobols „A und B“ in Dortmund uraufgeführt  ■ Von Stefan Koldehoff

Daß etwas geschehen sein muß, ist nicht zu übersehen: Die Welt liegt in Trümmern, ist mit Leichen, Waffenteilen und Skelettresten übersät, zur Wüste verödet. Was sich ereignet hat, Krieg, Katastrophe oder ein ganz persönliches Inferno, wird auch später nicht erklärt. „Wüste und Himmel“ hat der israelische Dramatiker Joshua Sobol den Schauplatz seines neuen Dramas A und B beschrieben, an dem die Erde aus sich selbst heraus hellrot zu glühen scheint. Abe, zunächst der einzige Mensch auf diesem Friedhof der Zivilisation, erschrickt zunächst darüber, daß er seinen Schatten an den Himmel wirft. Dann holt er schnell eine Schubkarre mit Grassoden herbei, um mit ihnen das Grauen und die eigene Vergangenheit und Schuld an der Katastrophe zu bedecken. „Jetzt ist unsere Zeit, und dies ist der Ort“, bestärkt ihn seine Frau Gilda immer dann, wenn den alten Mann Zweifel an seiner Art der Vergangenheitsbewältigung überkommen. „Wir müssen nur arbeiten, nicht denken und zuviel reden.“ Und immer wieder läßt sich Abe bereitwillig ablenken von seinem verzweifelten Grübeln über das Vergangene, um tatkräftig an der neuen Zukunft zu bauen: Auf dem Schlachthof, auf dem die Toten nicht begraben, sondern zugedeckt werden, soll ein Luxushotel entstehen, das das Ehepaar führen will. Vom Erinnern und der Unmöglichkeit des Vergessens erzählt Sobols neues Stück, das jetzt in der Weiskaue der 1987 in Dortmund stillgelegten Zeche „Minister Stein“ welturaufgeführt und vom Publikum begeistert aufgenommen wurde. Wer Sobols vorangegangene Trilogie über das Ghetto von Wilna, wer Die Palästinenserin und das in Haifa torpedierte Jerusalem-Syndrom gesehen hat, wird sich nun in einer völlig neuen Bühnenwelt zurechtfinden müssen. A und B ist mit den historischen Parabeln nicht zu vergleichen, und doch steht das Stück in engem Zusammenhang mit ihrem Inhalt. Abgrundtief ironisch und sarkastisch erzählt Sobol die grotesken Bemühungen des ungleichen Pärchens Abe und Gilda, Gras über alles Gewesene zu bringen. Mit hohler Fortschrittsphraseologie treibt die Frau ihren Mann immer wieder an, versucht sie, seinen Zweifel am gemeinsamen Zukunftsplan zu zerstreuen. Den Soldaten Ben, der mit blutroten Armen auf der Baustelle der Geschichte auftaucht und eigentlich nur schlafen will, um nicht nachdenken zu müssen, bringt sie auf ihre Seite. Er wird der erste Gast im neuen Hotel. Während seine Frau Gilda in hektische Betriebsamkeit verfällt, bleiben allein Abe Zweifel. Seine in die Wüste hinausgerufenen Fragen: „Wie lange kann man es vertuschen? Wie lange kann man die Toten zwingen, tot zu bleiben, wenn sie partout leben wollen?“ werden mit einem lakonischen „Die Zeiten waren eben so“ hinweggefegt.

Als später mit den Toten auch Abes (von ihm?) ermordete Geliebte Dorna als Hetäre von Rabelaisschen Ausmaßen, das Messer noch im Rücken tragend, aus ihrem Grab quillt, um den Alten unmittelbar mit seiner eigenen Schuld zu quälen und zu erpressen („Ich komme wieder“), bricht auch seine Erinnerungsarbeit endgültig zusammen. Sein- und Scheinebene sind nicht mehr voneinander zu trennen. „Laß mich schlafen“, sind Abes letzte Worte, während um ihn herum der Karneval der lebenden Toten tobt.

Er sei schon bei seinen ersten unveröffentlichten Stücken in den sechziger Jahren vom Theater des Absurden, von Beckett und Adamov beeinflußt worden, erzählte Joshua Sobol, der sich die Dortmunder Premiere ansah. A und B allerdings möchte er lieber in der Nähe von Cervantes oder der italienischen Commedia dell'arte angesiedelt sehen, die mit ihrer pointiert typisierenden Gesellschaftskritik und mit beißendem Spott die Menschen bloßstellte. Beide Elemente, das Absurde und der Spott, verhelfen denn auch Sobols Stück zu seiner Wirkung. „Wir leben alle gleichsam in einem künstlichen Paradies auf einer hauchdünnen Grasschicht, die die Katastrophen bedeckt“, hat Sobol selbst seine Allegorie interpretiert. „Die Katastrophe wiederholt sich, weil keine der Figuren Notiz von dem nimmt, was passiert ist.“

Regisseur Johannes Klaus, dem Sobol nach Adam jetzt auch A und B übergeben hatte, damit er es in Deutschland zur Aufführung bringe, hat für Sobols Gedanken kongeniale Bilder gefunden, die viel Raum für eigene Assoziationen lassen. Wer hinhört und hinsieht, wird Bezüge zur israelischen und zur deutschen Geschichte finden, wird den Golfkrieg ebenso entdecken wie die Asyldiskussion in der Bundesrepublik. Und trotzdem bleiben Wahrheiten, die die aktuellen Tagesereignisse überdauern werden. Das Leichenfeld in der langgestreckten, weißgekachelten Bergmannskaue, die Akustik, die selbst die leisen Töne nur langsam verhallen läßt, und die enorme schauspielerische Leistung vor allem von Claus Dieter Clausnitzer in der Rolle des Abe ermöglichen, was sich Joshua Sobol selbst von seinem Stück erhofft hatte: „Theater hat die Fähigkeit zu beobachten, wie hilflos wir oft dazu verdammt scheinen, Fehler zu wiederholen. Aber die Tatsache, daß wir darüber lachen können, weil wir sehen, wie dumm das alles ist, macht Theater zu einem Ort der Erlösung. Deshalb ist für mich Theater eine Art von Utopie in einer utopielosen Welt.“

Joshua Sobol: A und B. Regie: Johannes Klaus. Bühne: Birgitta Weiss. Mit Barbara Blümel, Claus Dieter Clausnitzer, Klaus Fleischmann, Ruth-Claire Lederle. Theater Dortmund — Kaue Eving. Nächste Aufführungen: 24.11., 1. und 11.12.

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