Gedankenlos

■ „Kasimir und Karoline“ im Berliner Schloßpark-Theater

Kasimir liebt Karoline. Und die liebt ihren Kasimir. Der aber ist nichts Besseres als Chauffeur, noch dazu gerade „abgebaut“, also arbeitslos geworden. Und Karoline will nach oben. Eugen Schürzinger, Zuschneider von Beruf, ist da nur Zwischenstation; der alte Kommerzienrat Rauch, der Karoline gleich am ersten Tag der Bekanntschaft im Cabrio nach Altötting schaffen will, scheint schon eher das Ziel des Aufstiegs zu sein. Auch daraus wird nichts, der Kommerzienrat hat plötzlich Wichtigeres vor, Karoline wird davongejagt und kehrt reumütig zu Kasimir zurück: „Wenn es dem Manne schlechtgeht, dann hängt das wertvolle Weib nur noch intensiver an ihm — könnt' ich mir schon vorstellen.“

Auch der Rückweg mißlingt: Kasimir hat sich inzwischen »dem Merkl Franz seiner Erna« zugewendet — die war gerade vakant geworden, weil der Merkl Franz beim Autoeinbruch havariert ist und „da hauns ihm jetzt fünf Jahr' Zuchthaus hinauf wie nichts“. Da der verbitterte Kasimir nun mal in Erna eine verwandte Seele entdeckt hat, wird Karoline nur noch grantig zurückgewiesen: „Das ist mir jetzt wurscht! Jetzt bin ich darüber hinaus, Fräulein! Was tot ist, ist tot, und es gibt keine Gespenster, besonders zwischen den Geschlechtern nicht!“

Es sind hauptsächlich solche Sätze, ihre Krausheit und traurige Komik, die Ödön von Horváth vor 20 Jahren wieder zur festen Größe in deutschen Spielplänen machten. Inzwischen ist Horváth, Anfang der 70er als Brecht-Antipode und Humanist des „kritischen Volksstücks“ gehandelt, zum Klassiker geworden. Man spielt ihn aus den gleichen Gründen wie Brecht: Ein Horváth gehört dann und wann in den Spielplan, vorzugsweise bei den kleineren Spielstätten. Warum er gespielt wird, welche heute wichtigen Geschichten sich mit seinen Stücken erzählen lassen, welche Notwendigkeit für gerade diese Geschichten besteht, das fragen sich die Regisseure ebensowenig wie bei der jeweils neuesten Schiller-, Büchner- oder Kleist-Inszenierung.

Regisseurin Lore Stefanek, die die Inszenierung von der erkrankten Elke Lang übernahm, hat im Schloßpark-Theater ein Stück schickes, leidlich flottes Kunstgewerbe arrangiert. Eine kleine Kapelle spielt schön schaurige Stimmungsmusik, eine bayerische Bläsertruppe sorgt für originalen Oktoberfest-Radau, die Songs (deren Texte man nicht versteht) wollen, ganz brechtisch, die naive kleine Geschichte verfremden, die beiden Hauptdarsteller tümeln, was das Zeug hält. Daß die Produktion immerhin ihre starken Momente hat, liegt an den Nebenrollen: Hans Peter Korff und Rainer Pigulla spielen ein alt gewordenes Freundespaar, jovial-alkoholselig bis an den Rand der Debilität und plötzlich ganz wölfisch unfreundlich, wenn es gilt, das „Fräulein Karoline“ zu belagern. Besonders Korff zeigt, wie mühelos der Übergang von der Rampensau zum konzentrierten, ernsten Charakterspieler sein kann. Thomas Schendel als Schürzinger ist einmal mehr ein schüchterner, wohlerzogener Kerl, dem die unerfüllten Sehnsüchte ins traurig-lächelnde Gesicht geschrieben stehen. Und Wiebke Frost stattet »dem Merkl Franz seine Erna« mit genau der gebrochenen, von Angst und Liebessehnen durchsetzten Innigkeit aus, die Horváths Frauenfiguren brauchen (und die Christiane Leuchtmanns spitzig-affektierter Karoline fehlt). Die Mannsbilder Horváths, diese klobigen, naive Weisheiten absondernden Kerle mit weichem Kern, scheinen für Staatstheaterschauspieler auch nicht leicht zu sein; Heino Ferch als Kasimir fällt jedenfalls durchgehend durch Nichtpräsenz auf.

Lore Stefaneks Inszenierung (im belanglosen Gelumpe-Bühnenbild von Vincent Callara/ Gabriella Ausonio) beweist einmal mehr die Wahrheit von Peter Zadeks Erkenntnis, daß die künstlerische Qualität einer Inszenierung zu 90 Prozent bei der Besetzung entschieden wird. Thomas Schendel als Kasimir und Wiebke Frost als Karoline — das wäre schon etwas mehr Horváth und etwas weniger Repertoire-Klassiker gewesen. Vom Besuch des Schloßpark-Theaters ist im übrigen auch bei geglückteren Inszenierungen dringend abzuraten: Auch nach der Renovierung ist es noch die gleiche Muff-Bude wie zuvor. Offenbar ist niemand auf den Gedanken gekommen, eine Klimaanlage einzubauen. Klaus Nothnagel

Ödön von Horváth: Kasimir und Karoline. Regie: Lore Stefanek. Bühne: Vincent Callara/ Gabriella Ausonio. Mit Wiebke Frost, Christiane Leuchtmann, Heino Ferch, Hans-Peter Korff, Rainer Pigulla. Schloßpark-Theater Berlin. Nächste Aufführungen: 22. und 30.11.