PRESS-SCHLAG: Militärdienst im Eiskanal
■ Teams aus Jamaika und von den Niederländischen Antillen beim Bob-Weltcup in Winterberg
Die Schlagzeilen gehören den Lochners, Hoppes und Weders. Doch die wahren Helden kommen aus Neuseeland, Jamaika oder von den Niederländischen Antillen. Todesmutig stürzen sie sich in den Eiskanal und rutschen dennoch auch beim Weltcup in Winterberg wieder drei Sekunden hinter der Elite ins Ziel. Dies sind im Bobsport zwar Welten, doch allein wegen des minderwertigen Materials verdienen die „Exoten“ dieser rasanten Disziplin alle Hochachtung.
Schon am Start wird der Unterschied deutlich. Während Wolfgang Hoppe nach einer einstudierten Schrittfolge den Anschiebbügel regelrecht anspringt, um mit einer optimalen Startzeit die Konkurrenz zu schocken, steht Dudley den Dulk vor unlösbaren Problemen. Der Zweierpilot der Niederländischen Antillen hat keine Ahnung, wie der Bügel auszuklappen ist. Erst die Hilfe eines Kollegen aus Großbritannien rettet die Situation. Ricky McIntosh aus Jamaika hat diese Probleme seit dem Vortag nicht mehr. Bei einem Sturz im Training ist die besagte Starthilfe abgebrochen. „Jetzt schieben wir den Bob eben an der Karosserie an“, meint Ricky und nimmt es hin wie die strahlende Sonne in seinem Heimatland.
Ricky McIntosh ist das, was man gemeinhin einen „lustigen Vogel“ nennt. Bei den Weltmeistern Rudi Lochner und Wolfgang Hoppe ist Nervosität zu spüren — schließlich geht es bei ihnen um Sponsoren und damit um viel Geld. Dagegen erwartet von Ricky keiner den großen Coup: und finanziell ist das Team mit Devon Harris, den Brüdern Dudley und Christian Stokes soweit abgesichert, daß man mit zwei Zweier- und einem Vierer-Bob den Weltcup-Zirkus durchstehen kann. So hat Ricky selbst Sekunden vor der Schußfahrt durch die Eisrinne noch einen Scherz auf Lager.
Wie kommt man von der Karibik in den Eiskanal? Ein amerikanischer Manager und Hans Dampf in allen Sportgassen schlug in einer „geselligen Runde“ jamaikanischen Regierungsbeamten vor, ein Bob-Team zu managen. Die Herren waren begeistert und sorgten für die Piloten. Ein Offizier ließ sein Regiment antanzen und bestimmte per Fingerzeig, wer ab jetzt die heimatliche Flagge auf den Bahnen von St. Moritz bis Calgary vertritt.
Ricky war nicht unglücklich darüber, den Militärdienst gegen die Bobkanzel einzutauschen. McIntosh: „Eigentlich bin ich 100-Meter-Sprinter, aber zu Hause nur einer von vielen. Beim Bobfahren gehöre ich dagegen zur Spitze.“
Auch einen namhaften Trainer leistete sich Jamaika. Der Österreicher Josef Haidacher, in Winterberg als Jury-Mitglied des Weltverbandes tätig, arbeitete zwei Winter lang als Entwicklungshelfer in Sachen Kufenflitzen, dann resignierte er. Haidacher: „Die Offiziellen waren mit den Ergebnissen nicht zufrieden. Da habe ich denen gesagt: Ihr braucht einen Zauberer und keinen Trainer.“
Trotzdem hat Haidacher die Crew in sein Herz geschlossen: „Das sind prima Jungs.“ Und Angst hat er um sie auch nicht. „Am ersten Tag ist ein Bob von ihnen hier gestürzt, aber jetzt haben sie die Bahn im Griff.“ Ein Sturz ist ihm dagegen im Gedächtnis geblieben. WM St. Moritz 1990: Jamaikas Vierer ist im Ziel. Als die Besatzung das Ergebnis hört, reißt sie im Auslauf die Arme hoch. Der Bob verliert seine Stabilität und kippt um. An die Plazierung kann Haidacher sich nicht sofort erinnern — Nebensache: „Das sind prima Jungs.“
Die meisten Bobs in Winterberg stammen aus der Flugzeugwerft Dresden. Selbst die technikbegeisterten Japaner vertrauen auf Made in Germany. „Wenn wir einen solchen Bob hätten, würden wir bestimmt Zehnter“, vermutet Ricky. Doch 30.000 Mark sind auch für Jamaikas Offizielle zu viel. Selbst für die in Italien ausrangierten Gebrauchten mußten sie noch 10.000 Mark auf den Tisch legen. „Mit dem rechne ich mit dem 20. Platz“, schätzt Ricky nach dem Training. Der Zweier-Bremser von Jamaika II lag etwas daneben. Rang 42 ist seit Sonntag in den Weltcup-Listen für ihn und Pilot Devon Harris festgehalten. Nächstesmal ist vielleicht wieder der Anschiebbügel repariert.
Und damit kann man einiges gutmachen. Ob das reicht, um in die Schlagzeilen zu kommen? Irgendwie hat man das Gefühl, daß Ricky das egal ist. Übrigens: in der Freizeit hört er gern Musik von Bob Marley. Detlev Botszat
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