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US-Richter stoppt Abschiebung nach Haiti

Port-au-Prince (ap/wps/taz) — Der 9jährige Lumane Noel war der erste, der im Hafen von Port-au- Prince von Bord des US-Coast-Guard-Schiffes ging und schweigend an dem Schild „Welcome to Haiti“ vorbeischlich. Vor einigen Wochen hatte er sich mit 140 Landsleuten in einem selbstgebauten Boot auf den Weg in die Gegenrichtung gemacht— nach Miami. Am Dienstag nun wurden die ersten 315 haitianischen Flüchtlinge gegen ihren Willen von der US-Küstenwache in ihr Heimatland zurückgebracht. Doch kurz nachdem das US-Schiff Richtung Haiti abgelegt hatte, stoppte ein Bundesbezirksrichter im US-Bundesstaat Florida jede weitere Abschiebung der Boat people, deren Zahl nach dem Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten Jean Bertrand Aristide am 30. September auf 3.000 gestiegen war. Für Lumane Noel kam die richterliche Entscheidung neunzig Minuten zu spät. Die Abgeschobenen können sich nun mit dem Versprechen des haitianischen Roten Kreuzes trösten, jedem zehn Dollar auf den Heimweg mitzugeben, und mit der Versicherung des US-Außenministeriums, die US- Botschaft in Port-au-Prince werde schon aufpassen, daß keiner der Rückkehrer staatlichen Repressionen ausgesetzt werde.

Mit seinem einstweiligen Abschiebestopp hatte Richter Donald Graham einem Antrag des „Haitianischen Flüchtlingszentrums“ stattgegeben. Dessen Rechtsanwalt Ira Kurzban hatte argumentiert, die US- Regierung schicke die Menschen in ein Land zurück, das anerkanntermaßen systematisch die Menschenrechte verletze und seine eigenen Bürger umbringe. Die US-Regierung argumentierte ihrerseits, die meisten Flüchtlinge hätten ihre Heimat aus wirtschaftlichen Gründen verlassen. Weitere 500 Flüchtlinge waren vorübergehend auf dem US- Stützpunkt Guantanamo auf Kuba beherbergt worden. Zunächst hatten die USA zu erreichen versucht, daß die Nachbarstaaten die Flüchtlinge vorübergehend aufnehmen. 550 konnten daraufhin in Venezuela, Belize, Honduras und Trinidad y Tobago Aufnahme finden. Nur 53 Haitianern wurde in den USA der Status politischer Flüchtlinge zuerkannt. Der Beschluß der Bush-Administration, die Flüchtlinge in ihre Heimat abzuschieben, hatte am Montag auch unter Kongreßmitgliedern eine Welle der Empörung ausgelöst. Auch die UN-Hochkommissarin für Flüchtlingsfragen, Sadako Ogata, kritisierte das Verhalten der US-Regierung. Unterdessen verlautete aus Kreisen der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in Kolumbien und den USA, daß sich der abgesetzte Präsident Jean-Bertrand Aristide und eine Delegation haitianischer Abgeordneter am Freitag in der kolumbianischen Stadt Cartagena treffen wollen, um einen Ausweg aus der Krise in Haiti zu finden. Die OAS tritt für die Wiedereinsetzung Aristides in das Amt des Staatspräsidenten ein und hat gegen die neuen Machthaber in Haiti ein Wirtschaftsembargo verhängt.

Der Botschafter Frankreichs, Jean-Raphael Dufour, kehrte am Dienstag nach Paris zurück, wohin er zu „Konsultationen“ beordert worden war. Haitis provisorische Regierung hatte Dufour am Sonntag zur „unerwünschten Person“ erklärt, nachdem der Botschafter die neuen Machthaber des karibischen Inselstaats als „Feiglinge“ bezeichnet hatte. anb

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