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Verschlungene Pfade zum tödlichen Haß

In Recklinghausen stehen sechs Skinheads wegen Mordversuchs vor Gericht/ Molotowcocktails auf Flüchtlingsheim und Moschee/ Vom Punk und Demonstranten gegen Ausländerfeindlichkeit zum rechtsradikalen Skinhead  ■ Aus Recklinghausen W. Jakobs

Mitten in der Nacht, es ist 3 Uhr 28, durchschlagen die Plastersteine die große Fensterscheibe der im Erdgeschoß gelegenen türkischen Moschee in Herten. Sekunden später fliegt der Molotowcocktail hinterher. Die Gardine fängt sofort Feuer. Kurz danach steht der Teppichboden in Brand. Drei dunkle Gestalten, die die mit Benzin gefüllte Flasche wegen der lausigen Temperaturen zuvor von Hand zu Hand gereicht hatten, flüchten durch die nahegelegene Gartenanlage in die Nacht des 25.November 1990. Beobachtet hat die Szene niemand.

Gäbe es Zeugen, die Beschreibung wäre ungefähr so ausgefallen: dreimal kahlgeschorene Häupter, dreimal Bomberjacken und dreimal die dazu gehörenden schweren Stiefel. Skinheads oder „Glatzen“ auf nächtlicher Terrortour. In dieser Nacht haben die potentiellen Opfer Glück. Der Vorbeter, der in einem Nebenraum schläft, kommt mit einem Schock und einer leichten Rauchvergiftung davon. Dank der schnellen Feuerwehr bleiben auch die über dem Betraum gelegenen Wohnungen von den Flammen verschont.

Ein paar Tage später, in der Nacht zum 1.12., ist ein achtgeschössiges Wohnhaus in Herten das Ziel. Flüchtlinge, Männer, Frauen und Kinder, leben hier auf engstem Raum. Wieder fliegen Steine durch Fensterscheiben. Wieder folgt ein Molotowcocktail. Diesmal wird das Fenster verfehlt. Die Flasche klatscht an die Hauswand, das Benzin verbrennt im Freien. Wenig später machen sich fünf „Glatzen“ im Fluchtauto über die verängstigten Rufe der Flüchtlinge lustig, ärgern sich fünf junge Deutsche zwischen 17 und 22 Jahren, darunter eine Frau, darüber, daß die gefährliche Brandflasche nicht in die Wohnung geflogen ist. Ein paar Monate später zielen Gesinnungsfreunde in Hünxe genauer. Zwei libanesische Kinder erleiden grausame Verbrennungen. Die schwerverletzte achtjährige Zeinab schwebt danach tagelang in Lebensgefahr.

Seit dem 4. 9. wird der nächtliche Terror in Herten vor der 2. Jugendkammer des Recklinghausener Landgerichts verhandelt. Doch die Angst und Schrecken verbreitenden „Glatzen“ gibt es nicht mehr. Auf der Anklagebank sitzen fünf junge Männer und eine zwanzigjährige Frau, mit längst nachgewachsenen, unauffällig durchschnittlich frisierten Haaren, höflich, mit leiser, zurückhaltener Stimme die Fragen der Gerichtsvorsitzenden Dr. Hahn- Kemmler beantwortend. Sie alle sind geständig.

Da ist zum Beispiel der siebzehnjährige Maik L. Ein offenes, freundliches Gesicht mit warmen, dunklen Augen. Ein rundum sympathisch wirkender großer Junge, geboren im Mai 1974. In der Nacht am 25.11. hat dieser Junge, der eine Zimmermannslehre macht, die Steine in die Moschee geschmissen. Warum? Wenn Maik L. von dem Anschlag spricht, redet er von „damals“. Mitgemacht habe er, weil er „nicht außen stehen wollte“, weil er es gut fand, „endlich mal etwas gegen Türken“ zu machen. Es ging ihm darum, „Angst“ zu verbreiten. „Da kann nicht viel brennen“, habe er gedacht. „Daß da jemand schlafen könnte, darüber habe ich nicht nachgedacht.“ Er habe „Frust“ ablassen wollen, sei „damals“ von einer „gewissen Ausländerfeindlichkeit“ angetrieben worden. Woher kommt diese Feindschaft, dieser Haß, will der beisitzende Richter Dieter Waschkowitz wissen. Vom Faschismus, von Hitler weiß Maik L. nicht viel. „Ich kenne sein Geburtsdatum. Früher hab' ich gedacht, die anderen stehen unter uns.“ Was er für Bücher gelesen habe, fragt daraufhin Richter Waschkowitz. Maik L. hat nichts Einschlägiges gelesen. Bücher sind nicht sein Ding. „Ausländerfeindlichkeit“, da ist er ganz sicher, „kommt sowieso nicht aus Büchern.“

Maik L. hat in der Schule viel mit ausländischen Kindern zu tun gehabt. In Herten wird er eingeschult. Als sich seine Eltern 1984 scheiden lassen, geht er mit seiner Mutter nach Herne. Mitte 89 kehrt er zum wiederverheirateten Vater, der als Fernfahrer viel unterwegs ist, nach Herten zurück. Maik L. ist viel allein, schafft den Hauptschulabschluß und beginnt eine Lehre als Zimmermann — noch immer sein „Traumberuf“. Dort trifft er auf einen Gesellen, der zu den Skins gehört. Im Februar 1990 kauft Maik L. sich die ersten Stiefel, im Mai läßt er sich kahlscheren. Sein „Brast auf Türken“ stammt aus der Schulzeit in Herne. Sein erster Schulfreund dort ist ein Türke, „mit dem ich mich gut verstanden habe“. Der nimmt ihn auch schon mal mit in eine Moschee. Auf der Hauptschule kommt er dann in Kontakt mit einer türkischen Schülergang, die Schutzgelder erpreßt. Wer nicht zahlte, wer die Zigaretten nicht rausrückte, „kriegte was vor de Omme“. In der Stadt wird ihm von der türkischen Gang „eine Jacke abgezogen“. Der 15jährige muß sich beugen, andernfalls gibt es was aufs Maul. Sein Zorn richtet sich bald nicht mehr allein gegen die brutale Türkengang, sondern die Wut steigert sich zum Haß auf alle Türken, auf alle Ausländer. Jemand, der gegensteuert, der ihm erklärt, daß jede Nationalität, jede Volksgruppe dieser Welt Arschlöcher und anständige Menschen hervorbringt, ist nicht in seiner Nähe. „Ich würde das heute nie mehr machen“, sagt Maik L. am Dienstag im Gerichtssaal und deutet dabei sein Erschrecken über die verbrannten Kinder von Hünxe an. Das könnten von der Prozeßtaktik geprägte Einlassungen sein, doch Maik L. ist kein abgefeimter Prozeßstratege, kein rechter Ideologe, sondern ein 17jähriger, sensibel erscheinender junger Mann.

Vom Linken zum Rechten

Von einem anderen politischen Kaliber sind da schon der 22jährige Lars B. und der 21jährige Oliver G., die an beiden Anschlägen beteiligt waren, und der 20jährige Christian D., der zwar lange zu der Gruppe zählte, bei dem Brandanschlag auf die Moschee aber nicht dabei war. Bis Anfang September saßen alle drei in U-Haft, nachdem sie kurz nach der Tat verhaftet worden waren. Die 20jährige Melanie H. steuerte seinerzeit das Auto, mit dem die Angeklagten in der Nacht zum 1.12. zum Flüchtlingsheim fuhren. In dem Wagen saß auch der sechste Angeklagte, der 19jährige Schüler Frank S., der erst kurz vorher zur Skin-Gruppe gestoßen war und bis dahin seine Freizeit in „Skatergruppen“ verbracht hatte. Sie alle sind angeklagt „wegen gemeinschaftlich versuchten Mordes mit versuchter schwerer Brandstiftung“.

Während Frank S. bis zu seinem Zusammentreffen mit dem Rest der Gruppe mit Politik nichts am Hut hatte, bewegten sich die anderen unterschiedlich intensiv bis zu ihrer Verhaftung in der rechtsradikalen Szene im Großraum Recklinghausen. Als 15jähriger Schüler in der Hertener Hauptschule kam Oliver G. 1987 das erste Mal in Kontakt zu einem Skinhead. Dann lernte er jemanden von der neonazistischen FAP kennen. Der schleppte den sehr verschlossen wirkenden Oliver G. auch mal zu einer FAP-Veranstaltung mit, aber die „gefielen mir nicht“. Statt dessen landete Oliver G. für ein halbes Jahr bei den rechtsradikalen „Republikanern“, die in Recklinghausen zu jener Zeit im Kreistag saßen. Genau wie Lars B. hat Oliver G. immer wieder Hakenkreuze und „Ausländer raus“-Parolen an Wände geschmiert. Dann kamen die Steine — auf „die wir damals stolz waren“ —, und später folgten die Mollis.

Oliver G. und Lars B. waren von den Angeklagten die einzigen, die bei beiden Brandanschlägen maßgeblich beteiligt waren. Noch 1987/88 stand der heute 22jährige Lars. B. auf der anderen Seite der Extreme. In jenen Jahren trug der Sohn eines etablierten Kaufmanns in Herten einen grellgefärbten Irokesenschnitt, zog er als Punker wohnungslos von Stadt zu Stadt. Lars B. war „linksorientiert“, nahm an Demonstrationen gegen die Ausländerfeindlichkeit teil und bezog so manche Tracht Prügel von Skins. „Danach war ich eine Zeitlang neutral.“ Anfang 1990 landete Lars B. über einen Bekannten bei den Skins, schon im März „fing das mit dem Sprühen“ an. In seiner Wohnung fand man bei der Verhaftung all das, was die neonazistische Szene zu bieten hat. Aufkleber, Broschüren, Hakenkreuz- Fahne. Der ehemalige Punk fand nun „Hitler-Deutschland“ gut, weil der „Deutschland sauberhalten wollte“. Das höre sich „vielleicht blöd an“, erklärt Lars B. den staunenden Prozeßbeteiligten, aber „von Disziplin und Ordnung“ habe er nun viel gehalten. „So in der Art habe ich damals gedacht.“ Heute hänge er „Ausländer raus“-Parolen nicht mehr an.

Am Dienstag hörte das Gericht die Sachverständige Dr. Wiedemann, die die Anschläge „als Spontantaten unter Alkoholeinfluß“ wertete. Bei den Tätern seien „selbstkritische Reflexionen“ herangereift. Ihre politische Überzeugung sei „doch recht oberflächlich gewesen“. Bei allen „sei ein Lernprozeß in Gang gekommen“. Fazit der Gutachterin: „Die Sozialprognose kann relativ günstig ausfallen.“

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