: »Polizisten hatten Gefühle nicht unter Kontrolle«
■ Türkischer Elternverein und Büro SOS Rassismus bezichtigen Polizei, Trauermarsch für Mete Eksi als Machtdemonstration zur Kriminalisierung von Ausländern benutzt zu haben/ Debatte über Ereignisse am kommenden Montag im Innenausschuß
Berlin. Der Türkische Elternverein und das Büro SOS Rassismus haben gestern schwere Vorwürfe gegen die Polizei erhoben: Der Trauermarsch für Mete Eksi am vergangenen Samstag sei von den eingesetzten Beamten gezielt als »Machtdemonstration« zur Kriminalisierung von Ausländern benutzt worden. »Wenn die Polizei nicht eingeriffen hätte«, war die stellvertretende Vorsitzende des Türkischen Elternvereins, Idil Temucin, überzeugt, »wäre es eine sehr friedliche Demonstration geworden«. Nach Angaben von Idil Temucin hätten die über 200 eingesetzten Ordner den Demozug mit den zum Teil sehr »zornigen und wütenden« Teilnehmern vollkommen »unter Kontrolle« gehabt. Die Polizei habe jedoch den »ständigen Dialog« zwischen Ordnern und Teilnehmern zu torpedieren versucht, indem sie von den Demonstranten Viedeoaufnahmen gemacht und die Spitze des Zuges in ein enges Spalier, in Begleitung eines Wasserwerfers und mehrerer Mannschaftswagen mit Blaulicht, genommen hätten. Noch schlimmer sei aber gewesen, daß die Beamten die friedlich versammelte Menge von Müttern, Vätern, jungen Leuten und Kindern nach der Abschlußkundgebung vor dem Rathaus Schöneberg auseinandergetrieben und zusammengeschlagen hätte. »Wollte man damit von uns das Bild vermitteln, daß wir aggressiv und gewalttätig sind?« fragte Idil Temucin.
Trixi Frings vom Büro SOS Rassimus sprach von einer »bewußten« Polizeitaktik, um Ausländer »als kriminell« darzustellen. Auf ähnliche Art seien die Beamten auch schon bei der Antirassimus-Demonstration am 3. Oktober gegen die Teilnehmer vorgegangen. Das Büro SOS Rassimus kündigte eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Einsatzleiter Drechsler an.
Bärbel Schmidthals vom Büro SOS Rassismus, die am Samstag Ordnerin war und der von einem Polizeiknüppel die Hand gebrochen wurde, sagte, sie habe noch nie zuvor erlebt, daß die Polizei einen Platz nach einer Demonstration »in solcher Windeseile« geräumt habe. »Das wurde gemacht, weil dort Türken standen«, war Schmidthals überzeugt. Die Ordnerin hatte sich eigenen Angaben zufolge empört an einen Polizisten gewendet, als sie ein kleines, aus dem Mundwinkel blutendes Mädchen gesehen hatte. »Als Antwort«, so Schmidthals, »wurde mir auf die Hand gehauen.«
Der Studiendirektor des OSZ Handel, Heinz Steireif, der mit vielen Kollegen und Schülern am Trauermarsch teilgenommen hatte und Augenzeuge wurde, wie Polizisten friedliche Menschen gegen die Schaufensterscheiben drückten und auf diese losprügelten, beschrieb seinen Eindruck mit den Worten: »Nach allem, was ich in den Augen dieser Polizisten gesehen habe, hätten es auch Skinheads mit Baseballschlägern sein können. Sie hatten ihre Gefühle nicht unter Kontrolle.« Eine 46jährige türkische Mutter kämpfte gestern mit den Tränen, als sie berichtete, wie sie und andere Mütter versucht hätten, sich während des Demozuges zwischen die Teilnehmer und die spalierlaufenden Beamten zu schieben. »Wir wollten unsere Kinder und Jugendlichen schützen. Ich bin zwar eine kleine Frau, aber ich habe die Polizeischilder angepackt und versucht, sie wegzudrücken.«
Beim Türkischen Elternverein und SOS Rassismus sind inzwischen zahlreiche Gedächtnisprotokolle von entrüsteten türkischen und deutschen Demoteilnehmern aus allen Generationen eingegangen. Die Berichte sollen dem Abgeordneten Wolfgang Wieland von Bündnis 90/Grüne übergeben werden, der die Ereignisse am kommenden Montag im Innenausschuß zur Sprache bringen will. Auch die Aufnahmen des türkischen Kabelfernsehens sollen als Beweis herangezogen werden. Einer der Journalisten von BTT-TV berichtete gestern, daß die Polizei am Samstag die Videokassette eines freien Mitarbeiters beschlagnahmt habe. »Bisher«, so der türkische Journalist, »hatte ich an die Pressefreiheit in den demokratischen Ländern geglaubt.« plu
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