: Kein Geld fürs Weltraumtaxi
Die Europäische Weltraum-Agentur ESA beschließt auf ihrer dreitägigen Ministerratstagung in München ein Sparprogramm 1992/ Kritiker finden das europäische Prestigeobjekt „Hermes“ überflüssig und die Forschungsergebnisse fragwürdig ■ Von Thorsten Schmitz
Bayerns Ministerpräsident malte den Teufel an die Wand. Wortgewaltig appellierte Max Streibl an Forschungs- und Industrieminister auf der Tagung der Europäischen Weltraum-Agentur (ESA): „Die Sicherung der Zukunftsfähigkeit ganz Europas hängt von der Raumfahrttechnik ab.“ Allein aus Konkurrenzgründen auf dem High-Tech-Sektor dürfe die europäische Wirtschaft „keinesfalls“ auf die bemannte Raumfahrt verzichten. Getreu dem Motto „Ehrlichkeit währt am längsten“ beendete der CSU-Politiker sein Plädoyer mit den Worten: „In angemessenen Grenzen muß dabei auch ins Ungewisse investiert werden.“
Weltraumpolitik mit „Maß und Vernunft“
Die inständige Bitte zur Eröffnung der dreitägigen Konferenz in München Anfang dieser Woche verhallte ungehört. Nach zähen Verhandlungsmarathons, zum Teil bis spät in die Nacht hinein, beschlossen die versammelten Wichtigmänner am Mittwoch zuallererst ein Sparprogramm. Der ESA-Etat fürs kommende Jahr wurde um fünf Prozent gekappt auf „nur“ fünf Milliarden Mark — eine Konzession an die ESA-Mitgliedsländer, die über Finanzprobleme geklagt hatten. Darunter auch die reiche Bundesrepublik. Sie muß auf dem Weltraumsektor künftig kürzertreten, weil ihre Milliarden vorrangig nach Ostdeutschland und in andere osteuropäische Länder fließen und eben nicht ins All. Durch die generelle Kürzung des ESA-Gesamtetats muß Bonn im nächsten Jahr etwa 70 Millionen Mark weniger blechen.
Ansonsten einigte sich der Ministerrat auf Unverbindlichkeiten: „Grundsätzlich“ zwar halte die europäische Weltraumorganisation an der bemannten Raumfahrt und ihrem Langzeitplan bis zum Jahr 2004 fest. Aber eine endgültige Entscheidung über ihre Großprojekte „Hermes“ und „Columbus“ wird erst auf der nächsten ESA-Konferenz in Spanien gefällt — im November 1992. Bis dahin soll „insbesondere“ auch geprüft werden, ob die Sowjetunion und Japan an der Entwicklung des Weltraumtaxis „Hermes“ und All-Labor „Columbus“ mitforschen dürfen. „Damit öffnen wir die Fenster für Kooperationen, wie sie mit den USA bereits bestehen“, erläuterte ESA- Generaldirektor Jean-Marie Luton. Ob Kooperationspartner wie die UdSSR oder Japan dadurch automatisch ESA-Mitglieder würden — darüber verlor Luton kein Wort.
Der bundesdeutsche Forschungsminister zeigte sich begeistert. Die mageren Ergebnisse bezeichnete Heinz Riesenhuber (CDU) als „Erfolg von München“. Nun werde die europäische Weltraumpolitik mit „Maß und Vernunft“ weitergeführt. Ganz im Sinne von Kanzler Kohl und Staatspräsident Mitterrand: beide hatten bereits vor dem ESA-Gipfel vereinbart, das gesamte europäische Weltraumprogramm unter finanziellen Aspekten durchzuforsten.
„Nichts riechen, nichts tasten und nichts hören“
Nach neuesten Schätzungen soll das federführend von Frankreich getragene Raumgleiter-Programm „Hermes“ 17,6 Milliarden Mark kosten statt ursprünglich 10,1 Milliarden. Die Entwicklungskosten für den in erster Linie von deutschen Firmen forcierten Bau der Raumstation „Columbus“ werden heute mit 10,4 Milliarden Mark beziffert — gestern waren es noch 7,7 Milliarden. Last but not least: Für die Trägerrakete „Ariane V“ müssen voraussichtlich 8,5 Milliarden Mark Entwicklungskosten aufgewendet werden statt der geplanten 7,2 Milliarden Mark.
Angesichts dieser Kostenexplosion war in den vergangenen Monaten der Ruf immer lauter geworden, Europa möge den Ausstieg aus der bemannten Raumfahrt beschließen. Auch Riesenhuber zeigte sich in jüngster Zeit wankelmütig. Im August erklärte er: „,Hermes‘ hat die technischen Ziele nicht erreicht und die Kosten erheblich überschritten.“ Zwar könnte der Forschungsminister rein rechtlich die Mitarbeit am „Hermes“-Projekt kündigen. Schließlich liegen die Kosten hierfür mehr als 20 Prozent über den vorgesehenen. Die Möglichkeit aber, „Hermes“ durch einseitigen deutschen Entschluß zu beenden, „sehe ich nicht“. Aus ganz pragmatischen Gründen, wie CDU-Politiker Riesenhuber zugibt: „In dem Moment, wo wir ohne Betrachtung der anderen Elemente ,Hermes‘ fallenlassen, könnte Paris vielleicht seine Teilnahme an der Raumstation ,Columbus‘ überdenken.“
Kritiker wie der Physiker Erhard Keppler beispielsweise bezweifeln schon seit Jahren den Sinn bemannter Raumfahrt, doch die Politiker stellen sich taub und halten unbeirrt am Jahrhunderttraum „Menschen im All“ fest. Keppler, technischer Geschäftsführer am Max-Planck-Institut für Aeronomie in Katlenburg- Lindau (Bodensee), hält es für absolut überflüssig, Menschen ins Weltall zu schicken: „Es gibt keinen einzigen Grund hierfür. Raumfahrt ist ohne weiteres auch unbemannt möglich.“ Nur weil Amerikaner, Japaner und Russen bemannte Raumstationen im All betreiben, „sagen die Europäer: ,Wir wollen auch eine!‘“. Dabei seien deren Forschungsergebnisse zumindest fragwürdig. Selbst „russische Kollegen sagen, daß bei bemannter Raumfahrt nicht viel rauskommt“. Und: „Im All können Kosmonauten nichts riechen, nichts tasten und nichts hören. Nur sehen können sie.“ Nach Ansicht von Keppler müssen deshalb aber nicht Milliarden verpulvert werden; der Mensch im All sei ersetzbar.
Für weitaus wichtiger als Prestigeobjekte wie „Hermes“ hält der Max-Planck-Mitarbeiter beispielsweise eine Intensivierung der Klimaforschung vom All aus — „aber unbemannt“.
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